Wahrsager der Zukunft

     

362 Tage und Nächte von den 366 dieses frischgeborenen Jahres 2016 haben wir noch vor uns. Ich mühe mich mal wieder die Horoskope in dieser Zeitung eilig umzublättern – als denkender Mensch, der ich zu sein versuche und Wahrsagerei für Unfug halte. Wenn ich beim Umblättern durch einzelne Trigger-Worte ahne, dass bei mir (Tierkeiszeichen Fisch) Miserables steht (miser=lat.=schlecht, erbärmlich, bedürftig), blättere ich noch schneller weiter als ohnehin. Liest mein fliehendes Auge aber Positives, ja, Beglückendes – dann blättere ich ein bißchenlangsamer um...
Menschen, diein einer bedrückenden, belastenden Zeit leben und nicht wissen, wann diese aufhört (Langzeitarbeitlosigkeit, chronisch Kranke, Flüchtlinge ohne Registrierungs– bzw. Asylantragsverfahren) wollen wissen, wie die Zukunft wird.
Wer Angst hat vor der Ungewissheit der Zukunft sucht Fachleute, die in die Zukunft sehen können: Wahrsager. Kaiser, Könige im Alten Testament sicherten sich ebenso ab wie Feldherren: Wallenstein, Napoleon, amerikanische Präsidenten und einige deutsche Abgeordnete der Gegenwart. Ich kenne Professoren, die viel Geld bei den Besten der besten der Wahrsager lassen für den Blick in die Sterne, denn es soll auch wissenschaftlich qualifizierte Deuter der Sterne, Astrologen, geben. Und das bringt mich zur Geschichte von Onkel Hans-Heinrich:

 

Der saß in einem Kriegsgefangenenlager der Alliierten und die erlaubten den Gefangenen bei einem Jahreswechsel Aufführung, Konzerte, Budenzauber wie auf dem Jahrmarkt. Onkel Hans-Heinrich war vor dem Krieg Student der Astropysik, Astronomie und Mathematik und die Kameraden sagten: „Du machst eine Bude auf und erklärst uns die Sterne“. Der 29jährige hatte das oft früher schon gemacht und die Familie, Freunde, Schulkameraden zu nächtlichen Beobachtungen der Sternbilder und –bewegungeneingeladen. Er sagte Ja, kriegte eine blau angemalte Papiermütze mit goldenen Stanniolsternen auf und erklärte den ersten beiden ein Sternbild mitsamt dessen mythischen Geschichten.
Nach einer Viertelstunde war die Schlange 30 Menschen lang und Hans-Heinrich schwitzte Wasser und den Blutdruck hoch, weil er begriff: Die Menschen hingen an seinen Lippen, um die Wahrheit der Zukunft zu erfahren.
Er wurde später Direktor der Universitätssternwarte Göttingen und erzählte diese Geschichte seinen Studenten als Warnung. Wovor? Davor, dass Menschen Astronomie mit Astrologie verwechseln wollen, um in die Zukunft sehen zu können. Auch davon riet er ab. „Neugier und Hoffnung reichen als Rüstzeug für Zukunft“.




Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
05. Januar 2016