Adventskonferenz

     
Wir stapften bei Vollmond um den zugeschneiten See. 1900 Meter hoch im Appenzeller Land, direkt neben dem Seminarzentrum. Sie hing sich bei mir ein. Nicht wegen der Anbahnung größerer körperlicher Nähe, sondern weil ich ständig auszurutschen drohte. Sie die 88 jährige Berghofbäuerin, ich der Mensch aus dem Norden ohne Bergschnee-Training.
"Also hören Sie - Sie könnten mein Sohn sein" (ich übersetze hier Toggenburger Schwyzerdütsch) sagte die Bäuerin entrüstet und zog ihr Gesicht, fein wie das einer Künstlerin, erstmals in strenge Falten. Ich hatte höflicher - und leichtsinnigerweise von "unserer beider Generation" gesprochen. Sie verteidigte ihren Vorsprung an Reife, Weisheit und Vitalität deutlich.
Es war um die Gestaltung der so gefährlichen Advents-und Weihnachtszeiten gegangen, der Zeiten, in denen riesenhohe Erwartungen zu abgrundtiefen Enttäuschungen und Krisen führen. Sagte ich.
"Führen können," relativierte sie und zog mich an meinem Stock über eine vereiste Brücke neben dem Mönch, der die Wasserhöhe im See reguliert. Wenn das Wasser nicht gerade Eis ist.
"Wir machen seit Jahren eine Adventskonferenz", erzählte sie. Vier Generationen treffen sich über eine von der Telephongesellschaft rundgeschaltete Leitung und alle, die Weihnachten oder zum Adventstreffen kommen, nehmen teil. Mit Ausnahme der Kinder, die noch an den Nikolaus, an den Weihnachtsmann, an eine Bescherung durch höhere Wesen glauben (sollen).
  Da treffen sich ihre Kinder (mein Alter), ihre Enkel zwischen 45 und 40, ihre pubertierenden Enkel und nachzügelnde Kleinkinder aus Zweit - und Drittehen ihrer Kinder und Enkel.
"Es gibt soviel verschiedene Vorstellungen von einem festlichen Fest wie Familienmitglieder," erzählte sie, ruhig, planerisch,"und alle werden in der Adventskonferenz geäußert. Weniger Hausmusik, dafür mehr Essen oder kürzer Essen, dafür hinterher in die Disco. Alles, was die Herzen begehren." Sie grinste im Schein des Vollmonds über dem Säntis, der seine Leuchtmasten für den Flugverkehr rot blinken ließ, als wenn es Adventskerzen wären.
"Letztes Jahr fiel zwar der traditionelle Braten der Konferenz zum Opfer, dafür gingen sie mal wieder alle zur Kirche nach Unterwasser runter - auch die Ausgetretenen."
Sie hatte Betriebswirtschaft für ihren Bauernhof und die Bergheimat studiert und führt ihre Adventskonferenz wie eine Mitarbeiterbesprechung: Listen, was man sich wünscht, Listen, was man vermeiden möchte, Abwägen beider Welten gegeneinander. "Soweit sind wir eben heute - Konferenz als Lösung des Festproblems. "Der Trick - " sie grinste wieder, "Reden lässt die Luft raus und wir feiern letztlich ganz ähnlich wie immer."
"Sie haben `Symplify your life`gelesen, nicht?" fragte ich, froh, dass Wackeligkeit durch Bildung ausgleichbar ist. "Tolles Buch," sagte sie,"aber englisch getitelt. Warum nicht deutsch: Vereinfache dein Leben!"



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
04. Dezember 2007