Über-Regelungen

     
„Es wird“, stöhnte Alexander, „immer schlimmer!“ Und dann legte er los mit seinem Empfinden, dass die Welt des menschlichen Zusammenlebens immer durchgeregelter würde, überregelter. Inzwischen auch hier: „Regeln, Gebote, Gesetze – wohin du guckst“!
„Wohin du guckst“, korrigierte ich und zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn. Alexander stutzte, dann verbat er sich, nein, verbat er eigentlich mir, solche „pingeligen Kleinlichkeiten“, welches „du guckst“ er nun meinte. Dann legte er los mit Beispielen für die Unfreiheit, in der er leben müsse. Und ich auch. Wir. Und überhaupt bald alle.
„Find mal einen Parkplatz in der Innenstadt. Die ersten freien sind für Behinderte. In den Tief – und Hochgaragen kommen dann Frauenparkplätze, dann die für Mutter mit Kind. Oder meine teure, mechanische Armbanduhr: Die hole ich ab von der Reparatur und höre, sie sei gar nicht kaputt, sondern eine, die ich immerzu tragen müsste, weil sich sonst die Automatik nicht aufzieht. Keine 24 Stunden darf ich sie beiseite legen. Oder ich müsste mir eine zusätzliche elektrische Apparatur kaufen, die dann die Uhr bewegt, wenn ich sie nicht bewege. Oder aber die Australier: Deren Energieunternehmen ,Energy Austrialia’ rechnete jetzt vor, dass die Australier zu lange duschen und dass sie kürzer duschen sollten. Ich bitte Dich, was kommt da auf uns alles zu: Duschzeit-Begrenzung wegen Wassermangel, Kochzeit – und Autokilometerbegrenzung wegen Energieverknappung! Und für meinen eigenen
  Schützenclub darf ich den Zuschussantrag nur nicht erhöhen, weil ich dem Sportausschuss als Kommunalpolitiker vorsitze. Da galoppiert eine Inflation von Reglementierungen!“
Ich fragte Alexander ungeschickterweise, ob er gegenwärtig besonders viel Stress habe? Er zischte gleich los, seinen Stress sähe doch ein Blinder – eben die Reglementierungen. Leicht verspätet teilte ich Alexander mein Mitgefühl mit und bestätigte vorsichtig, dass die Welt tatsächlich komplexer würde. Jedenfalls der Planet Erde. Globalisierung und so, EU, immer mehr Bürgerinitiativen für Parksitzbank-Aufbauten (Demographie), Kernkraftwerk-Abbauten (Ökologie), immer mehr Minoritätenschutz (eben Behinderte und Menschen mit Kindern)…
Zum Schluss – ich dachte, dass Schluss sei – fragte ich, ob sein neuer PC geliefert sei, denn Alexander gestaltet mir immer meine klügsten Gedanken auf Folien in eine anständige Powerpoint-Presentation um. „Das ist es ja: Einfachere Bedieneroberfläche war in der Werbung – und nichts mit einfacher. Und sie“ – Alexander nickte mit dem Kopf in Richtung Zimmer seiner Frau – „lacht nur und sagt, mein ganzer Elektronik-Scheiß sei doch mein Problem und ich solle sie da nicht hineinziehen.“
Ich werde Alexander, da ich Freunde ja nicht psychotherapeutisch behandeln will und darf, einen Gutschein für eine Ganzheitsmassage schenken. Und mal mit Alexanders Frau reden, dass das nicht immer damit getan sei. Mit dem „das ist dein Problem“.



Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
04. November 2008