Wetterfahnen

     

Sie tun, was wir als mündige Bürger nicht sollen, aber was Wetterfahnen tun müssen: Ihre Fahne in den Wind hängen.

Wetterfahnen teilen das Schicksal mit Straßenschildern, mit Leuchttürmen, mit Auskunftsbeamten, mit Land - und Seekarten – mit allem, wovon die Richtungen früher abgelesen oder abgehört wurden, in die man wollte oder nicht sollte. Heute sind Wetterfahnen altes Eisen. Günstige und schädliche Richtungen für uns Menschen werden von diesen heute an Navigationsgeräten abgelesen, durch GPS und andere Satellitensysteme ersetzt, die die gewünschten oder befürchteten Richtungen durch Signale anzeigen.

Auf die Wetterfahne eines Kirchturms schaute man, um die Richtung des Windes abzulesen. Selbst kirchenferne Hochgucker zu einer Wetterfahne feiern dabei tief im Unbewußten einen ahnungslosen Gottesdienst. Ahnungslos, weil alles, was mit Wind zusammenhängt, mit Geistern verbunden wird, mit Spiritualität.

Seit Menschen an Geister glauben, schauen sie auf Winde und beim Windewehen denken sie an Geister. Die Christen oder solche, die es sein wollen oder solche, die Christentum wissenschaftlich widerlegen - sie verbinden den Hl. Geist seit Pfingsten vor 2000 Jahren mit Wind und dem heiligen Kinde.

Von der Kultur der frühen Schamanen, die bis in die der heutigen Hopi-Indianer ragt, assoziiert Wind etwas Heiliges. Bei den Hopis gibt es das „Reinigungs-Tanzen gegen den Sturmwind, um den Staub loszuwerden, dann das Tanzen mit dem Wind, um den Staub, das Böse sich entfernen zu sehen“. Das Neue Testament (Apg. 2) erzählt vom Pfingstereignis als einem „Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes, dass das Haus erfüllte, in dem sie saßen“ und Hänsel und Gretel bei Grimm lernen im „Knusper, knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?…Der Wind, der Wind – das himmlische Kind“.

Die ARD-Nachrichten über den jüngsten Vulkanausbruch lassen einen Chef-Metereologen sagen, daß „diese Art Naturgewalten höhere Gewalten sind, als daß wir sie steuern oder auch nur beeinflussen könnten.“ Überall verbinden wir Wind mit etwas, was über unseren menschlichen Ordnungssystemen steht, mit Übergordnetem, mit Heiligen.

Spätestens seit dem Pfingstfest, in dem das windige Rauschen plötzlich den Rang eines rassen-und ethnienüberreifenden Kommunikationsmittels der unterschiedlichsten Menschen untereinander erhielt, sind Wind und Wetterfahnen Eins gewesen und unsere Altvorderen guckten hoch – um Verschiedenes sehen zu wollen: Woher der Wind kommt und gehen wird und mit ihm Regen oder Sturm oder Windstille, also woher Gutes und Böses kommt.

Oder sie schauten hoch und entdeckten den Hahn auf oder in der Wetterfahne, der nicht nur die aktuelle Wettergegenwart, erinnert, sondern auch historische Momente, in denen z.B. ein Petrus sich schmerzhaft erinnerte, was sein Chef gesagt hatte: Bevor der Hahn dreimal kräht, wirst Du mich dreimal verraten…

Oder der zur Wetterfahne Hochschauende entdeckte gleich ein erinnerndes Kreuz und macht das seine auf Stirn oder Brustkorb, um sich eine Dosierung Sprituelles hinter die Stirn oder in den Korb des Brustes reinzuziehen wie später das Bier oder den Korn hinter die Binde.

 

Oder die Wetterfahne transportierte die befürchtete Zahl „13“, meist auf Kirchturmspitzen südlich des Mains, wo die Leute dann nicht bei der 13 aberglaubten, sondern nur aberglaubten bei schwarzen Katzen von links oder Käuzchenrufen.

Denn die uns im Norden mehr in Panik versetzende „13“ auf der Wetterfahne symbolisierte nicht ein teuflisches Dreigestirn, sondern die Trinität, die göttliche Dreieinheit von Vater und Sohn und Hl. Geist in Einem, die „3“ in der „1“.

Die Wetterfahnen üben auch eine psychologisch wichtige Funktion aus: Sie machen höher und länger und damit Gott näher, was vielleicht zu kurz und zu stumpf ist, um von Gott und Göttern gesehen zu werden.

Manche Kirchtürme haben die Wetterfahne dringend nötig, um sich narzißtisch zu behaupten unter den langen und größeren der Kirchtürme, den romanischen Wuchtbauten, den gotischen Stars, den barocken Üppigkeiten.

Die Kirchtürme von Klöstern, die oft auch Trutzkirchen zur Verteidigung und zum Schutz vor Feinden sein sollten, sind meistens reichlich klein. Beispiel Oldenstadt. Da wird man gerne länger durch die kleine, aber feine, weil heiliggeistliche Wetterfahne.

Das ist eine psychologisierende Sicht auf die Wetterfahne bzw. deren architektonische Möglichkeit, einen zu klein geratenen Turm größer erscheinen zu lassen. Die weitergehendere Sicht ist die auf die Eigenschaft jeder Wetterfahne, wetter-wendisch zu sein. Und eben uns zu mahnen, das nicht zu sein, sondern die eigene Position zu überdenken und sich nicht dem nächsten Windchen hinzugeben. So heilig es sein könnte. Schließlich transportieren Winde auch Unheiliges und manchmal puren Dreck oder Pollen oder Gerüchte.

Die Wetterfahne der Hopi-Indianer waren Federn auf dem Kopfschmuck und Federn oder Pferdehaare auf der Zeltspitze. Die Wetterfahne der Piloten in vulkanstaubgefährdeten Flugzeugen steckt in den Satelliten, die um Mutter Erde kreisen. Die Wetterfahne bei Hänsel und Gretel steckt in den Beteiligten und diese Wetterfahne ist die wichtigste: Die seelische Wetterfahne in uns. Sie zeigt uns an, was die äußeren Wetterfahnen auch zeigen und darüberhinaus die inneren Wetterfahnen erinnern sollen: Wohin meine und unsere nächste Zukunft wohl gehen mag – von der Nadelspitze der Gegenwart aus, wie Sigmund Freud formuliert.

Sie ist alt, die Oldenstedter Wetterfahne und sie ist heilig, denn abertausende von Blicken mögen seit ihrer Turmbesteigung auf ihr gelegen haben, voller Sorge, voller Hoffnung.

Vielleicht wurden angesichts dieser alten Fahne und ihrer Vorgänger die Menschen auch ohnmächtig und kippten reihenweise um. Früher dachten sie, daß der Hl. Geist sie ergriffen habe und sie jetzt gleicher als alle anderen Menschen waren. Heute wissen wir, daß Menschen, die lange hochschauen, wegen der abgeknickten Halswirbelsäule und verringerter Blutzufuhr umkippten. Von wegen Hl. Geist…

Sie möge restauriert werden und uns Gegenwärtigen die innere Wetterfahne erinnern helfen und damit das, was uns innerlich festigt. Und das, was uns zu Flexibilität und Ändernkönnen unserer Welt befähigt.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
04. Mai 2010