Johannes und die Deutsche Einheit

     

Es geht um morgen. Den gesetzlichen Feiertag zur deutschen Einheit. Und dem Irrtum bei Johannes. Und vielen anderen.
Johannes wurde oben in St. Andreasberg an einem 31. Dezember geboren. Er erlebte als Säugling auf den Armen der Eltern, als Kleinkind und Kind unter seinen drei Geschwistern auf dem Balkon das Feuerwerk zum Jahreswechsel. Er war vier oder fünf Jahre alt und freute sich bis dahin an dem Feuerwerk zu seinem Geburtstag ohne Arg wie ein Schneekönig, denn das Feuerwerk oben auf dem Berg im Harz war ein doppeltes wegen seiner Spiegelung auf den  Eiskrusten des vielen Schnees. Dann die böse Enttäuschung: Das Feuerwerk war gar nicht ihm zu Ehren, sondern für etwas ganz anderes. Wenn es für eine andere Person gewesen wäre, einen Bruder oder den Vater, wäre das noch verstehbarer gewesen. Aber für eine Zahl, die man ihm auf den Abreiss-Kalendern und in der Zeitung zeigte? Es war eine der Enttäuschungen, die aufdeckten, dass man vorher einer Täuschung erlegen war.
Inzwischen wird der 3.10., der Tag der Deutschen Einheit, auch in kleinen und großen Ballungszentren mit Getöse gefeiert (Getöse diente immer schon zur Vertreibung böser Ängste und Sorgen. Besonders denjenigen, von denen man nichts Genaues weiß).

Die kleinen Geburtstagskinder am 3.10. haben  es auch so schwer wie Johannes damals im

 

Oberharz und werden einmal den Irrtum verstehen, dass nicht sie gefeiert werden, sondern – ja, was? Na, deutsche Einheit. Das ist noch schwerer zu erklären als ein Kalenderdatum für Johannes.
Ich verschlang den Roman „Turm“, wurde süchtig bei den Folgen von „Weißensee“, heulte zuletzt beim Film „Kruso“ letzten Donnerstag. So wie ich am Steuer vor Glück geheult habe, als ich 1990 auf dem Autobahn-Weg nach Hamburg die endlosen Trabi-Kolonnen überholte und wir alle einhändig steuerten, weil der übrige Körper winkte.
Deutsche Einheit. Ja, feiern wir sie. Und vergessen nicht, dass unsere Geschichte immer schon Wiedervereinigungen feierte in den 1000 Jahren deutscher Fürsten und Könige, die sich zerstörten und wieder vereinten.
Genau genommen müsste der Tag – sagen Germanisten und Philosophen (die studierte Johannes dann) – „Tag der Wiedervereinigung“ heißen. Oder äußerstenfalls Tag der Vereinheitlichung. Denn eine deutsche Einheit ist – wie immer schon – nicht in Sicht. Buntheit ist angesagt. Also Vielfalt statt Einheit. Einheit ist ein Ideal zum Anstreben - ohne Erreichung.

Feiern wir morgen also unser unerreichbares Idealziel. Und die Gedenktage derer, die am 3. 10. geboren wurden und das Glück geschenkt bekamen, dass die Nation mitfeiert.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
03. Oktober 2018