Fußball – Fallhöhen

     

Der Dramatiker sagt jetzt: So viel Drama war noch nie. Scheidungsdrohungen zwischen EU und USA, zwischen CDU und CSU und jetzt auch noch der Nichtsieg gegen Südkorea.
Der Statistiker sagt, dass ein zweiter WM-Sieg nacheinander von der Wahrscheinlichkeitsrechnung  her niemals zu erwarten gewesen wäre. Kein Mensch zieht zweimal nacheinander ein großes Los.
Der Pädagoge sagt, dass zur individuellen und kollektiven Reifung (Kollektiv – das sind wir also) neben der Erfahrung von Gewinnen, Siegen unbedingt auch die Erfahrung von Verlieren, Unterlegenheit, Niederlage gehört.
Der Besserwisser wusste es schon vor der Abreise zur WM: Das geht schief. Besserwisser sind, laut einem Kalenderblatt von 1814, die, die nur neidisch sind und Neid war Gruppensport auf dem Wiener Kongress 1814, als das nachnapoleonische Europa neu verteilt wurde.
Der Seelsorger sagt: Sieger kommen fast nie nach ihrem Sieg zu uns. Jetzt aber, nach der Niederlage – jetzt sind wir endlich gefragt und bieten Trost.

Der Psychologe (sehr entfernt verwandt mit den Seelsorgern) sagt: Der Druck, die Nummer 1 bleiben zu wollen und zu sollen,
 

steigert die Ängste des Versagens umso intensiver, wenn die Nummer 1 eine öffentliche Nummer ist (sog. Parteivorsitzenden-Syndrom).
Die unreifen Fans benutzen Wörter wie „Trauma, Trauer, Entsetzen, Heimsuchung“ und werden keine angemessenen Wörter mehr zur Verfügung haben, wenn ihnen jemand Nahes wegstirbt oder etwas wirklich Entsetzliches passiert wie eine Heimsuchung samt Trauma.
Die gesundheitsbewussten Fans sagen: wie erholsam! Das Bangen im Achtel-, Viertel-, Halb- und gar Finale auf einen 3. WM-Titel hin – hätten wir diesmal nervlich nicht durchgehalten. Wie denn dann unsere Elf erst…Erholung ist angesagt. Allen!
Der Dichter, in diesem Fall Heinrich Heine, warnt vor allzu viel (!) Applaus und Bewunderung menschlicher Götter vor den Turnieren mit einem Gedicht, sonst wären sie keine Dichter: „Wollten keine Ovationen, von dem Publico auf Pump, keine Vorschuss-Lorbeerkronen, rühmten sich nicht keck und plump.“
Haben wir „Mit-Schuld“? Vielleicht zu viel Vorschusslorbeeren verjubelt? Und mit für den Dissstress bei unserer Elf gesorgt? Jetzt ist Tapferkeit angesagt, die für die geistige Peristaltik nötig ist, welche Niederlagen verarbeiten hilft.




Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
03. Juli 2018