Falsch erzogen...

     

...hat man mich. An nur ei­nem Beispiel begriff ich das endgültig. Dem des neuen grie­chischen Finanzministers. Der erstaunte mich auf seiner Bet­teltour von Nachrichtensen­dung zu Nachrichtensendung von Tag zu Tag. Erst füllte mich Staunen, wie der das machte. Dann Ungläubigkeit. Heute bin ich überzeugt: Ich würde heute in jedem meiner früheren Ämter total versagen
schaue, bin ich seinetwegen immer mehr rübergezappt zu anderen Nachrichtensendun­gen - nur um von dem Mann zu lernen. Jedenfalls für mein höheres Alter.

Denn ich lernte noch ehedem: Ein Neigen des Kopfes sei die Voraussetzung, dem ande­ren Respekt zu zeigen, Zu-Neigung. Ein Diener bei der Dame, ein leichtes Neigen oder auch nur Zunicken bei männlichen Gegenübern. Seine Exzellenz in Griechenland ist zwar ver­armt und bettelt, aber unbeug­sam tut er das. Einen Stock hat er verschluckt, einen dieser ausziehbaren modernen Teleskop-Besenstiele, denn ein nor­maler Hausbesen würde ihn nur bis zur Schulter versteifen. Ich lernte noch, dass wir keine Briten seien, die die Hände in den Hosentaschen behalten dürfen, wärend sie
 

Kontakte pflegen. Was aber auch bei den Briten nicht gegenüber Damen gilt. Mein griechisches Vorbild lehrt mich aber, dass er modern, ich out sei: Der begrüßt nachweislich auch die Damen, selbst Engel wie unsere Angela mit der linken Hand in der Tasche und natürlich und zwangsläufig von oben herab (s. Besenstiel-Haltung). Einzige Ausnahme: Bei seinen Schritten auf den Rollstuhl von Herrn Schäuble zu - da nahm er die Hand aus der Tasche.
Ich lernte noch, Lächeln zu dosieren. Der Grieche zeigt es mir: Der lächelt nicht nur ununterbrochen, er grinst. Oder positiver: Er strahlt. Immer. Immerzu. Denn er kraucht auch schon in dieser eigentlich ja unbequemen Haltung aus den Fonds der Autos lachend. Er strahlt  wahrscheinlich auch nachts im Schlaf.
Ich lernte noch, wenn ich etwas ausgefressen hatte, mit einem gewissen Schuldbewusstsein im Gesicht auf die zuzugehen, von denen ich abhängig bin. Mindestens eine Portion Ernst. Der Grieche lehrt mich paradoxe Interventionen neuer Art: Je größer das Problem, je aussichtsloser seine Lösung - umso strahlender dem sicheren Sieg begegnen, je unwahrscheinlicher dieser ist. Es wirkt. Ich bin falsch erzogen worden.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
03. März 2015