Bayerisch-russische Weihnacht

     

Wo feiert der Mensch am meisten Feiertage? So richtig gesetzlich geschützte? Es war einmal, da hieß es: Am besten man geht als evangelischer Christ in eine gutkatholische Gegend. Sagen wir Bayern. Denn neben den gemeinsamen Feiertagen (Weihnachten, Ostern usw.) gab es die katholischen Feiertage (Fronleichnam usw.) und der ganze Freistaat feierte.
Auch die Feiertage der Evangelischen waren geschützt (z.B. Reformationstag usw.), weshalb es welche gegeben haben soll, die nach Bayern zogen und gleich wieder in ihre verlassene lutherische Kirche zurücktraten, als sie das hörten. Das mit den geschützten Feiertagen für Christen.
Inzwischen sind die evangelischen Festtage rechtlich wie im öffentlichen Bewusstsein dezimiert, manche ganz futsch. Der freiwillige Verzicht auf Buß-und Bettage zugunsten von was ganz Weltlichem war erst ein Anfang.

Jetzt überlege ich, wie sich russische Verhältnisse hier zu uns übertragen lassen. Denn das heutige Russland ist zwar nicht demokratisch, geschweige basisdemokratisch. Es ist aber auch nicht mehr despotisch, sondern „autokratisch mit demokratischer Tendenz“. Und vor allem: Das heutige Russland liebt Christ-, Weihnachts- und Neujahrstage derart, dass es diese gleich mehrfach feiert: 13 Tage nach unserem Christfest feiert die orthodoxe Kirche Christi Geburt. Die Hl. Nacht ist am 6./7. Januar, unserem Epiphaniasfest (war auch mal ein gesetzlich geschütztes…). Aber: Wer katholisch oder evangelisch ist – der feiert wie wir schon am 24./ 25. Dezember – und zwar geschützt! Und feiert abermals am 6.Januar.
 

Am 13./ 14. Januar ist dann das eigentliche Neujahrsfest mit dem Alt und Neu verbindenden Namen „Altes Neujahrsfest“. Dabei werden jedoch nicht das Ende des alten und der Anfang des neuen Jahres in sozusagen symbiotischer Umarmung gefeiert, „Altes Neujahrsfest“ meint schlicht den alten russischen Kalender. Wer das „Neue Neujahrsfest“ feiern will: Bitte am 1. Januar – wie bei uns. Denn Russland zählt natürlich seine Kalendertage parallel zur übrigen Welt zweimal, nämlich auch neuzeitlich.
Wer nicht genug hat (wie ich), der feiert in Russland noch „Väterchen Frost“, verwandt im ersten Grad mit Santa Claus, im zweiten mit unserem Weihnachtsmann. Väterchen Frost jedoch tingelt aber nicht wie ein leichtes Mädchen bzw.schwerer Mann durch die Ladenketten der endlosen Vorweihnachts-Zeit. Er kommt nur in der Nacht vom 30. auf den 31., allerspätestens in der zum 1. Januar und stellt etwas unter den Weihnachtsbaum zu den entweder schon vorhandenen katholischen oder den evangelischen Geschenken. Oder Väterchen Frost eröffnet die Geschenkparade, die dann endgültig am 13.Januar abgenommen wird.
Und: Weihnachtszeit ist eine der Zeiten, in denen russische Familien (Ausnahmen bestätigen die Regel) nicht unter der langen Zeit ungewohnt engen familialen Zusammenseins leiden (wie bei uns) und sich deshalb aggressiver denn je verhalten (wie bei uns). Warum? Weil russische Familien das ganze Jahr über sehr oft und gerne miteinander feiern. Auch ohne Festtage.
Wir könnten uns durchaus was Russisches wünschen. Hierzulande.




Den Autor erreichen Sie unter:

Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
02. Dezember 2008