Erinnerungen an heute
Hans-Helmut Decker-Voigts Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Uelzer Allgemeinen Zeitung. Hier an dieser Stelle wird es ein- oder zweimal im Monat eine neue Veröffentlichung geben.
Christels Galloways

Christel, Christines Cousine in Thüringen, lebt mit ihnen. Hinckes in Oetzfelde auch. Etliche andere ebenfalls, die auf sich halten. Und auf gutes Fleisch. Sie alle leben mit ihnen. Und natürlich auch von ihnen. Mit und von Galloways.
Hier geht es um ihre Musikerziehung. Nicht von Christel und Hinckes, sondern deren Galloways. Es sind dies jene Viecher, die eine Art eingewanderter Aristokratie unter den Rindviechern darstellen. Etwa was die Hugenotten für unsere Vorfahren waren. Nur dass die wegen ihres edlen religiösen Glaubens und die Galloways wegen ihres edlen Fleisches aus- und bei uns einwandern mussten.
Braun ist der Galloways wuscheliges-kuscheliges Fell. Ihre Augen würden den Maler Chagall entzücken, der sich noch mit Kuhaugen begnügen musste, um die Schönheit der Liebe zu symbolisieren. Und ruhig sind Galloways, eben die edle Zurückhaltung der Edlen. Manchmal zu ruhig. Z.B. für Christel in Thüringen.
Denn Christel wollte mit ihren edlen Rindviechern auf die Landestierschau in Thüringen. Vielleicht auch mal wieder auf den Thaer-Platz in Uelzen. Und dort würde es Musik geben. Laute Musik. Wie bei unseren Hengstparaden oder Schützenfesten. Keine Landestierschau ohne. Nur - Christels Galloways leben auf einer der einsamsten Höhen Thüringens. Und hatten alles für ihre edle Existenz. Nur keine Musikbildung.
Ganz anders bei Hinckes Galloways und denen hinter den Kurven vor Melbeck. Die sind Autos jede Menge zwischen Uelzen und Lüneburg gewohnt. Und Autos bedeuten: Jede Menge Krach und Geräusch, die bekanntlich mit Musik verbunden. Außerdem sind Autos immer auch fahrende mobile Musikanlagen.

Viel Musik aus offenen Fenstern mit allen Stilen und vor allem dröhnender hoher Dezibel lernen die hiesigen Galloways von selbst. Die Flachland-Galloways sind musikgebildet. Christels Berg-Galloways haben keine Ahnung von Lärmkunst. Christel fütterte ihre Landestierschau preisverdächtigen Viecher bisher ohne dabei laut zu singen. Oder gar zu schmettern. Dazu wäre Christel auch zu fragil: Füttern und Arien. Nicht mal von einer Musikanlage ließ sich Christel mit ihren Tieren beschallen. Vornehme Ruhe. Aber eben das würde ihre Tiere musikgebildet haben.
Christel begriff: Um ihre Galloways an Musik zu gewöhnen, brauchte es Übung. Sie lud das Dorf ein, auf die hohe Weide zu kommen. Und sie kamen. Mit Gesang, mit mobilen Musikanlagen, mit Hallo und Trara und vielem Klatschen. Eben wie auf einer Landestierschau oder Hengstparade. Für ihre Aufgabe als Galloway-Trainer kriegten die Leute aus dem Dorf Brötchen. Und zu trinken. Aber während es sich die Menschen gut gehen ließen, waren die Tiere verstört. Immerhin wurden sie im Laufe des Trainings-Festes etwas ruhiger. Christel lud ihre Horde Freunde nochmals ein. Zweites Training. Und da wurden sie schon schneller ruhiger. Ich mache es kurz: Christel will gar nicht mehr auf Landestierschauen. Weder in Thüringen noch in Uelzen. Nicht weil sie keinen Erfolg hatte. Im Gegenteil: Lauter erste Preise und Prämien! Und ihre Viecher waren zur Musik und dem Applaus der Menschen auch nicht einfach nur reingelaufen auf die Präsentationsflächen. Nein, geschritten sein sollen sie. Sentenzenweise fast im Takt. Aber - fand Christel - es war alles viel zu aufregend. Für ihre Galloways. Und für sie wohl auch.

(02.November 2004)