Böse Gegenwart - gute, alte Zeit

     

Gewalt wo wir hingucken und hinhören: Paris-Nizza-Würzburg-München-Ansbach und die tägliche Gewalt im Nahen und ferneren Osten, Afrika… Meine Ohren hören häufiger denn je Sehnsucht nach der Vergangenheit. Und meine Seele will auf Rückwärtsgänge schalten, um der Furcht vor Gegenwart zu entgehen. Denn Terror kommt von terrere=lat. fürchten. In all dem versucht der Verstand einen lebenswerten Blick.
Im Blick auf die angeblich „noch nie in dieser Quantität und Brutalität dagewesene Gewalt von heute“  verdrängen wir, dass in der guten, alten Zeit keine Reise hierzulande ohne gemietete Bewacher oder Soldaten möglich waren. Raub und Mord und Totschlag mußten schon auf kleinen Reisen eingerechnet werden. Die Erpressergeschichte von Wilhelm Hauff „Das Wirtshaus im Spessart“ ist nur ein harmloser Ausschnitt der Schilderungen des täglichen Terrors auf unseren Straßen in der Vergangenheit.Vor der Zeit, wie Wilhelm Hauff sie beschreibt, war Raubrittertum ein erfolgreicher Job.
Heute entsteht erstmals Terror, weil Religion gegen Religion steht? Das war auch im 30 jährigen Krieg so, der begleitet war von nichtmilitärischen marodisierenden Banden, die wir auch heute als Terroristen bezeichnen würden.
Das sei aber ein Religionskrieg innerhalb Deutschlands gewesen und heute trüge der Islam den Terror hierher? So stimmt auch das nicht: Unsere Kreuzzüge begann mit dem Hineintragen des Krieges in ein fremdes Land – wegen der Religion.
Unter uns Älteren gibt es Alte, die über unsere Zeit weniger schlecht reden.

 

Es sind die, die den braunen Terror des 1000jährigen Reiches erlebten und mit heute vergleichen – und stiller sind. Terror hatten wir immer wieder.

Unser heutiges Überbetonen des Guten am Alten hat jedoch eine in dieser Dimension neue Chance für Furchteinflößung: Einzelne reißen mit Bombenterror zig, hunderte, NineEleven in New York Tausende in den Tod. Das ist neu und war noch nie. Eine andere Angst ist auch erst in der jungen Gegenwart geboren: Die Angst vor der Frage, die inzwischen fast alle Wissenschaften von der menschlichen Wahrnehmung beschäftigt: Wie lebt der Mensch noch menschlich bei soviel Überfütterung durch Gewaltszenen aus den digitalen Medien?
In den letzten Winkeln werden durch die Medien die letzten Winkel auf Erden  und im Menschen erst aufgespürt und letztere auf die Idee gebracht, mit Bösem berühmt zu werden oder in den Himmel zu kommen – durch die Medien. Denn das Böse, psychologisch gesprochen, ist die destruktive Aggression in jedem von uns. Genau dies umfasst das „libera nos a malo“ des Vaterunsers (und erlöse uns von dem Bösen) – was die neuere Aggressionsforschung seit S. Freud nur bestätigt.

Deshalb erscheint mir das Leben heute so mörderisch wie noch nie zuvor. Aber tauschen mit früher? Ich schaue lieber in diese Welt, wie sie ist – und mir reichen einmal Nachrichten am Abend, um nichts  zu verdrängen. Und mich nicht anstecken zu lassen von der Lust am Ausgrenzen oder gleich Zurückschlagen. Oder im Stillstand zu erstarren.



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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
02. August 2016