Auf der Rasenfläche vom Nachbarn Havelberg bewegt sich
das Kind, indem es nicht geht, nicht läuft, sondern hüpft.
Querfeld - bzw. querrasenein steuert es in diesem Hüpfraum
zwischen Erde und Himmel auf die abgewaschene, gelackte, wieder
bunte Schaukel zu. Sonne, Wärme und vertrauter Lebensraum
machen (das Kind) mobil, risikofreudig, spielbereit.
Spätestens mit dem Hören des Datums "1.Mai"
strömt die Menschheit nach draußen, wechselt den
Lebensraum. Der Winter hat seinen Lebensraum. Der Sommer hat
einen anderen und erst recht der Frühling als Übergangszeit.
Die Menschheit nutzt ihre Sensoren, um sich in die sprießende
Natur einzufädeln und deren Veränderung auch in die
innere Welt einzulassen.
Wir sehen wieder ersehnte Farben und Formen, wir hören
vermisste Naturstimmen, wir schmecken Sekt oder was immer in
der Luft. Wir riechen süße, wohlbekannte Düfte
und wir fühlen wieder Wärme und fühlen Gefühle.
Ach ja.
Aber mit den Folgen auf die Mai-Reize beginnt auch die Spaltung
der Menschheit.
Ein Teil von uns reagiert auf die Mai-Reize, indem er Gedichte
schreibt oder vor sich hin trällert oder malt. Frühling
als Reinigung des Innenraums.
Ein anderer Teil reagiert, indem er vorwiegend äußerlich
reinigt. Die Kippen aus dem Autoaschenbecher am Waldesrand auskippt,
die Kisten mit dem Leergut vor die überquellenden Container
stellt. Sein winterlich gesammeltes Sperrgut stellt er mangels
Sperrgutabfuhr in den Vorgarten so häuft, dass alle Nachbarn
seine Sauberkeit des Innenraums noch länger ahnen.
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Die Spaltung vollzieht sich im Trinken und Essen. Die
einen trinken in der ersten Sonne um die Wette und stopfen sich
mit Saisonalem voll. Die anderen trinken und essen dasselbe
wie im Winter. Ja nichts ändern.
Die Spaltung vollzieht sich auch im Blick bzw. im Gehör
- auf Fortbewegungsmittel bezogen: Die einen wandern, fahren
Rad oder liegen probe an Balkoniens Stränden oder auf grünem
Rasengras, sind also leise, um die Mai- Reize zu genießen.
Die anderen jagen mit ihren Rasenmähern, Mopeds und Traktoren
donnernder über die Erdkruste als schweres Gewitter.
Übergänge wie die Frühlingszeit und Übergänge
überhaupt sind Zeiten der Chancen - und der Krisen. Das
geht mit dem Übergang vom ersten äußeren Lebensraum,
dem Mutterleib, los, vollzieht sich weiter bei jedem Raumwechsel
auf dem Arm eines Erwachsenen, beim Wechsel von Wiege zu Karre
und vom Kinderzimmer zum Nachbarzimmer, von Kindheit zu Pubertät.
Der spannendste Lebensraum dabei ist immer der eigene innere
Erlebensraum: Wie fühlen wir den Mai diesmal? Wie denken
wir über ihn - wenn wir denn denken? Was transportiert
der Mai an Erinnerungen, was an Phantasien und Erwartungen -
diesmal? Körper hat man, Leib ist man. Leibliches Erleben
bezieht alle unsere hinreißenden Frühlingsgefühle
mit ein. Oder sperrt sie aus.
Das Kind auf dem Nachbargrundstück, das jetzt im schaukelermöglichten
Luftraum fliegt und juchzt vor Lust kann es von Natur aus: Innere
und äußere Lebensräume verbinden. Manchmal können
es die Restkinder in Erwachsenen auch.
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