Advent im Flugzeug

     

Seit vorgestern feiern wir Advent. Mein Gott! Bzw. Hl. Nikolaus! Bzw. armes Väterchen Frost! Was bin ich froh, nein, heilfroh, daß ich diesen Advent und diese Vorweihnachtszeit, das ganze Fest überhaupt - zuhause feiern kann. Denn eben saß ich noch im Flugzeug von Orenburg nach Berlin und kam aus dem Mitgefühl nicht heraus mit dem dortigen Advent, mit der dortigen Vorweihnachtszeit.

Denn in Orenburg müssen sie diese Adventszeit, müssen sie diese Vor-Weihnachtszeit feiern. Ja, sie müssen.

Schon auf der nebligdunklen Frühmorgensfahrt aus Orenburg hinaus zum Check-in im funkelnagelneuen musikbeschallten Flughafengebäude („Jingle bells“) flogen die millionenfach elektrisch bekerzten Tannenbäume aus dem Nebel heraus wie umgekehrt die bescheiden grün-grauen Wacholder aus dem Nebel der Heide zuhause. Ab und an wurde die Serie der Klon-Elektrobäume (in Form unserer größten Fichten oder Oberharzer Tannen) unterbrochen: Durch noch riesigere dreifarbige Weihnachtsmänner. Deren rote Röcke hatten alle dieselben Farben: Röcke rot, Mützen blau, Rucksäcke weiß. Die Kenner von Landesfarben wissen jetzt Bescheid:

Denn Orenburg ist keine der unbekannten Städte in einem der neuen Bundesländer, sondern die letzte Millionenstadt Russlands vor Kasachstan. Ihre natürliche Grenze, der Ural, trennt offiziell Asien von Europa.

 

Das für die Russen Grässliche an dieser über sie hereinbrechenden Vorweihnachtszeit: Es ist nicht ihre. Denn auch wenn sie zu Europa gehören (wollen) – nicht in Sachen deutscher Weihnacht!

Weder unsere Adventszeit mit Tag-Träumen und Diskussionen vor rappelvollen Schaufenstern noch ein „Macht hoch die Tür“- Liedersingen noch der Nikolaustag am 6. Dezember sind russische Sache, geschweige Tradition. Weihnachten wird russisch-orthodox am 6. Januar gefeiert und der aktuelle Weihnachtsmann-Kult in russischen Städten ist kein Kult, sondern sein Gegenteil und steht für die jetzige riesige Überschwemmung auch der hinterletzten Millionenstädte Russlands mit westlicher Weihnachtskommerzialisierung. Nikolaus ist zwar der ganzjährige Ober-Heilige Russlands, aber als Weihnachtsmann war er bis vor kurzem unbekannt. Man feiert mit Väterchen Frost.

Im (russischen) Flugzeug gab`s Papierservietten mit dem Weihnachtsmann bedruckt und eine CD mit „Silent Night/ Stille Nacht“. Ich befragte meine russischen Nachbarn, wie es ihnen ginge, mit den Weihnachtsbäumen, den Weihnachtsmännern, diesen Stillen Nächten…?

Zweimal Achselzucken „Nicht zu ändern – kommt von Westen“, Dreimal Grinsen: „Gut Geschäft –mehr nicht.“

Gott bin ich froh, daß ich wieder zuhause bin, wo Advent und Vorweihnacht zuhause sind und freiwillig. Egal, was wir darin treiben zwischen Kommerz und Krippe.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
01. Dezember 2009