Onkel Hans-Heinrich
ist zu Besuch. Er wird Onkel "H-hoch-2"
oder "Onkel H-Quadrat" genannt. Weil er
Naturwissenschaftler ist. Unweigerlich wurde er
jetzt von der Erinnerung einer wahrlich heißen
Selbsterfahrung heimgesucht. Unweigerlich
wahrscheinlich deshalb, weil gerade eben
Pfingsten war und der Text der Epistel in der
Kirche aufhörte mit dem altmodischen Wort "Weissagen"
("...will ich in jenen Tagen meinen Geist
ausgießen und sie sollen weissagen"). Denn
Onkel H-Quadrat hat -Naturwissenschaft hin oder
her- einmal richtig geweissagt. Weissagen müssen.
Was auch immer mit Wahrsagen zu tun hat.
Damals war er Kriegsgefangener und die
Mitgefangenen unterhielten sich durch allerlei
wie eine Musikgruppe, eine Laienschauspielgruppe
u.a.Da war Unterhaltung wahrlich noch Unterhalt für
die Seele und das Gegenteil von Konsum. Da
Musiker und Schauspieler in einem
Kriegsgefangenenlager auf die Dauer auch großes
Publikum ersehnen, wurde ein großes Fest geplant
und man erinnerte sich Onkel H-hoch-2. "Du
hast doch mit Sternen zu tun, nicht?"
So trat die oberste Selbstverwaltung der
Gefangenen an ihn heran und er nickte. Er
studierte Astronomie und Astrophysik. "Astrologe
wirst du, nicht?" Der damalige Student und
gefangene Gefreite versuchte, dem Barackenchef
und künftigen Intendanten des geplanten
Jahrmarkts den Unterschied zwischen Astronomie
und Astrologie zu erklären.
Beides hätte zwar mit Sternen zu tun, er aber
anders als die Astrologie. Für das Fest sei das
egal, hieß es. Man brauchte ihn für die Sterne.
Er gab nach und wurde auf dem Kriegsgefangenen-Jahrmarkt
in eine kleine zurechtgezimmerte Bretterbude
gestellt, über der ein Plakat dazu einlud, sich
die Sterne erklären zu lassen.
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Onkel Hans-Heinrich
tat das auch, zunächst ganz fachlich:
Sternbilder zeichnete er auf, erzählte spannende
Daten dazu und lud ein zu einer Nachtbeobachtung.
Doch die Leute wollten mehr. Was stehe in den
Sternen? Wegen Entlassung? Und Frau zuhause- und
Geld später- Gesundheit? Zwangsweise, er war ja
gefangen-fing Onkel Hans-Heinrich an, ein bißchen
zu weissagen. Jawohl, er sagte voraus. Je nach
dem Geburtsdatum. Solange bis er merkte, dass vor
seiner Bretterbude inzwischen eine kleine
Schlange stand und gebannt wartete... Doch da war
es zu spät.
Er sagte dem älteren Tischlermeister voraus,
dass seine Tischlerei wohl noch stehe (er wusste,
dass der Betrieb auf der Schwäbischen Alb stand,
wo Onkel keine Angriffe vermutete). Er war für
seinen ängstlichen und einfersuchtsgeplagten
Pritschennachbarn Albert sicher, dass deren
Ursula ihm treu bleiben würde (schließlich war
die Eifersucht Alberts lächerlich. Keiner
kriegte soviel Post von seinem Mädchen!)
Laut weissagte Onkel H-Quadrat tapfer weiter,
wie gesagt: zwangsweise. Dabei bewegte er sich im
Stil der unteren Horoskop-Niveaustufe, von
Kaufmann Beckmanns Kundenillustrierten zuhause in
Celle. Jedoch sprach er mit der Sprache, die er
von seinem Vater -ausgerechnet Pastor- gelernt
hatte: Nachdrücklich, klar artikuliert, eben die
Sprache einer Autorität.
Laut weissagte er also das Blaue vom Himmel
herunter in seine umlagerte Bretterbude.
Innerlich und nach dem ganzen Zauber bat er den
Gott seiner Väter und seinen Vater insgeheim um
Verzeihung, um Verständnis, um Abbitte, was
immer.
Er versuchte sein Schuldgefühl zu dämpfen,
indem er beschloss, nie wieder so was zu machen.
Auch nicht im Spaß. Und Petrus und den anderen
in der Pfingstgemeinde der Epistel das Weissagen
zu überlassen.
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