Sperrmüll

     

Christine und ich stimmen im Wesentlichen überein bei Kindererziehung, Hauseinrichtung, Religiosität, Autofahren – und so ließe sich das Klischee von glücklicher Lebenspartnerschaft glatt auf uns überstülpen. Wenn es nicht den Sperrmüll gebe.
Ich bin – ehrlich und nachweisbar – wirklich kein Messie, aber an den Vorabenden von Sperrmüllterminen gibt es Spannungen. Immer. Denn schon beim flüchtigen Vorbeifahren in unserer eigenen kleinen Dorfstraße und erst recht den großen Straßen unseres früheren Gemeinderegierungssitzes entdecke ich Raritäten (Drehstuhl mit Lederbezug, nur kleine Risse) oder kaum Benutztes (vorletzte CD-Player-Generation). Ja, künstlerisch Interessantes (Bilderrahmen mit doppelter Silberleiste, für alte Stiche geeignet).
Auf einem weißen Holzstuhl (mit Kissen), von Nachbar Horn hinausgestellt, saß ich nun schon viele Stunden hinten im Garten, weil dessen Sitzwinkel idealer für das Schreiben mit dem Laptop auf dem Schoß ist als der originale Worpsweder Stuhl von Großmama. Der Stuhl von der Straße brach erst nach vier Monaten unter mir zusammen.
Ach, was gelangten alles für gute Dinge so in meinen Besitz. In meinen. Christine lehnt ihn ab, so hab ich ihn allein.

 

Und, ach, was ich alles nicht kriegen konnte, weil sie sich sperrt gegen Sperrperlen.

Sie hängt den Kalender vom Landkreis mit dem Sperrmülltermin auch nicht mehr öffentlich in die Küche. Und wenn ich per Zufall die Straßen am Vorabend des Sperrmülltermins gefüllt sehe mit Lampen aus den 50ern, ganzen Sitzgarnituren, ehrlich ohne erkennbaren Makel beim langsamen Vorbeifahren, Buchregalen, die meine flach hochgestapelten Bücherberge vor dem Umkippen retten könnten – dann fährt sie sicherheitshalber mit, damit ich nicht auf die Idee komme, auszusteigen…
Sie hat Recht: Eigentlich brauche ich nichts von alledem, weil wir alles haben, aber mach was gegen eine Kindheit, deren Kinderpopos auf gebrauchteren Stühlen rutschten, als die, die heute zum Müll sollen. Mach was gegen die Erinnerung an nackte Glühbirnen in Räumen und den Jubel beim ersten geschenkten Radio, zwar auch gebraucht, aber immerhin zwei gut verständlicheSender. Aber mach was gegen die Erziehung, dass die Reststücke von lange benutzten Seifen gesammelt und in einer Socke gepresst wieder ein neues Stück ganzer Seife ergab. Teilweise jedoch versteht mich Christine. Denn sie wirft auch nichts weg, was noch ganz gut geht. Z.B. mich.




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Prof.Dr.Decker-Voigt@t-online.de

 
01. März 2016