Allenbosteler Theater

Alles haben wir in unserem Dorf - trotz unserer Winzigkeit (minus-plus 140 Seelen). Alles, um autonom zu sein: Einen Arzt (zwar für Tiere, aber der kann auch mit Menschen), Kindergärtnerin, zwei Lehrerinnen für Vor-, Grund-, Real- und Berufsschule, einen Professor für Studierwillige, einen Schlachter, einen Psychotherapeuten, zwei Ingenieure, einen Kunstmaler, einen Liederdichter und einen Schriftsteller. Handwerk und Landwirte sowieso (mit eigenem Schneeräumdienst und Jagdberechtigung = Frischfleischversorgung). Und wir haben das Wichtigste, was Menschen in schweren wie in guten Zeiten buchstäblich Unterhalthaltung bietet: Unter-Haltung. Selbstproduzierte. Wir sind eigenkreativ. Denn unsere Feuerwehr hat, was keine kleine andere hat. Eine Kulturabteilung: Eine Laienspielgruppe. Bei uns brennt es zwar nicht so, dass wir damit in der Zeitung stehen. Aber dafür stehen wir Jahr für Jahr mit einer langen Rezension in der Zeitung. Mit Bild. Von unserem Theater. Dies Jahr war es besonders toll, denn als ich vom Hamburger Flughafen zurück in das Dorf einfuhr, war es verstopft. Dicht. Gerammelt zu. Nicht wegen parkender Autos und Straßenumleitungen, sondern wegen der vielen Menschen auf der Straße. Nie gewusst, wie viel bei Munstermanns hinten reinpassen. Beim Näherfahren kam es, jenes unangenehme Gefühl, Wichtigstes verpasst zu haben. Denn Theaterbesuch heißt, völlig neue Wesensseiten meiner Nachbarn zu bestaunen - die unbekannten Wesen. Die Menschen waren an diesem Abend mit sich beschäftigt. Nicht mal nähere Bekannte grüßten wie Kollege Hoffmann oder Alexander, mein Nachbar - derart waren die vertieft in ihre Theater-Pause unter freiem Himmel. Barbara Kaiser hatte in der Zeitung über sie geschrieben. Von den (zu) vielen zu langen Pausen. Dies also war eine. Aber während normalerweise bei Frau Kaisers klug-bissig-geistreicher Denk- und Schreibweise gilt, dass sie recht hat, wo sie recht hat, sind unsere Allenbosteler Pausen in Allenbostel anders zu sehen: Die dienen einerseits der Steigerung unserer intrakommunikativen Kompetenz, also unserer Kohäsion (= kollektives Wir- Gefühl). Andererseits dienen sie zum Abbau von Xenophobie (=Fremdenangst), denn an diesem Abend kamen die meisten kartengeilen Besucher von weither, was kleine Gemeinwesen nicht gewohnt sind, trainieren müssen. Mein unangenehmes Gefühl gegenüber dem Nichtbesuch dieses Events unseres Dorfes wurde klares Schuldgefühl, als ich von Frau Bergmann hörte, dass sie ihren Ernst-Christian (er spielt wesentlich mit) an allen bisherigen vier Abenden begleitet hat. Ich fragte nach Karten - aber an meinem freien Tag wird nicht gespielt. Und an den zusätzlich nötigen Aufführungsdaten bin ich schon wieder weg. Christine war für mich da. An ihrem doppelten Klatschen und Juchhu-Rufen (absolut untypisch für sie) werden es alle gehört haben: Ich war vertreten.

31. Mai 2005