Schießkunst-Jubiläum

Wusste ich es? Wussten Sie es? Ich weiß es erst jetzt - im letzten Teil des Jahres 1990: Wir Heidebewohner feiern in diesem Jahr ein hundertjähriges Jubiläum besonderer Art. Nein, das sagen wir ja von allen Jubiläen, daß sie „besonders" seien, weshalb sie es immer weniger sind. -Richtiger ist: Wir feiern ein besonders delikates Jubiläum: Der Truppenübungsplatz um Munster wird 100 Jahre alt! 1889/90 wurde er als Schießplatz eingerichtet. Hurra! Feiern wir! Denn schließlich sind wir hier im Kreis eng mit unserem Truppenübungsplatz verbunden: Die Schallwellen der Folgen jener Schießkünste, die dort bis heute gepflegt werden, verbinden uns miteinander. Kein Mensch, der nicht ab und an aufmerkt, wenn das Dröhnen der Leopardenrohre die Fensterscheiben klirren lässt. Kaum ein Regionalpatriot, der seine Heide nicht leben lernen musste mit den nächtlichen Leuchtraketen gen Himmel. Gen Himmel? Der war lange vor Franz Werfels Roman ein „veruntreuter Himmel"...Schieß-,,Kunst" hieß das damals, weswegen unser letzter deutscher Kaiser die ersten Höfe umsiedeln ließ und Freifläche zur Kunst-Pflege schuf: Zur Schieß-Kunst-Pflege. Überhaupt zur Kriegs-,,Kunst". Wieviel seelisch erhebende Beförderungen gab es dort vor dem ersten Weltkrieg, die diejenigen stolz nachhause kehren ließen, die befördert wurden als „Fortgeschrittene" in dieser Kunst? Hoffend, daß sie diese einmal ausüben durften vergleichen mit den Künsten anderer? Unsere Ur-Ur-Großväter dort, unsere Ur-Großväter. Und glaubten noch an diese Kunst, weswegen sie die Urkunden und Bierseidel aus jener Zeit, nach dem Dienst stolz mit nachhause brachten zu stolzen Bräuten und Frauen. Der Vorstellung von der Kunst des Krieges entsprach die kunstvoll gotische Frakturschrift, in der verschnörkelt wurde: „Als Erinnerung an die Dienstzeit des Gefreiten..." Sie hängen noch heute über manchen Tischen und Betten, diese Urkunden- und verschnörkeln etwas. Die Schieß-Künstler von damals mit dem Wunsch nach Vergleichsschießen bekamen zweimal ihre Chance: 24 Jahre nach Gründung unseres vertrauten kleinen Heide-Schießplatzes begann der Siegeszug dieser Künste, die dort gelehrt, geübt und verfeinert wurden. Zum ersten Mal zeigten sich die Früchte dieser Schieß- und Kriegskünste direkt in Verbindung mit der Heide... Von unserer Kulturlandschaft aus begannen die Vernichtungen der Kulturlandschaften anderer. „Raubkammer" heißt ein Teil unserer Heide. Nomen est omen der Name schien Programm. Erstes Nachdenken begann über die Folgen dieser Künste nach 1918. Manche „Weimarer" dachten nicht nur nach, sondern auch um. Kriegskunst sollte anderer weichen. Zumindest vom ersten Rang der Künste weichen. Die Weimarer Republik versuchte zaghaft das zu tun, was Wallenstein laut Golo Mann unter „Reformieren" verstand: Ein Heer zu verkleinern. Doch die, die das versuchten, hatten nicht mit dem Drang des Menschen gerechnet, in dem, was er tut, vollkommen zu werden. Und da auch in der Schießkunst „kein Meister vom Himmel fällt", versuchte das Genie Hitler solche zu trainieren. Neue Meister-Erziehungsprogramme für Schieß- und Kriegskünste begannen um Munster herum. Mit Merkmal, das nur Genie bzw. Wahnsinn kennt: Perfekt zu sein. Der Größte. Und dies wurde auch der kleine Truppenübungsplatz. „Totengrund" heißt ein weiterer Teil unserer Heide Nomen es omen der Name blieb Programm. 1945 wussten wir es. Feiern wir dies Jubiläum also: Hundert Jahre Heide - im täglichen und nächtlichen Licht der Kriegskunst. Morgen ist Reformationstag, wozu Berufene aus theologischer Sicht schreiben. Vermutlich unter erklären- der Benutzung des Wortes „Protestant" und „Protestantismus". Zusammen mit dem lateinischen „reformare" (-um- gestalten) kommt mir der Reformationstag und Protestantismus als sehr feiernswert vor - anlässlich des 100 jährigen Jubiläums des größten Truppenübungsplatzes Europas: Nämlich gegen ihn zu protestieren und Totengründe wie Raubkammern dieser Art auf das notwendigste Maß zu begrenzen damit wir wirklich nur zur Not-Wende auf ihre Künste zurückgreifen müssen...Daß bisher keine großen und kleineren und kommunalen PolitikerInnen Reden über das Geburtstagskind schwingen das stimmt hoffnungsvoll. Entweder wurde dies Jubiläums absichtlich vergessen. Oder aus Versehen, weil es so viel anderes in diesem Jahr zu feiern gab, was mit dem Gegenteil von Schießkunst zu tun hat. Und das ist zu feiern!

30. Oktober 1990