Dies Fest ist geschafft

Dies Fest ist geschafft, sagte der Dirigent eines Weihnachtskonzertes nach demselben. In diesem Konzert war es seine heikle Aufgabe, den eigenen Chor und einen benachbarten Chor, dazu das eigene Orchesterchen mit einer fremden Big Band unter einen musikalischen Hut zu bringen. Genauer: den verschiedenen Teilen einen künstlerischen Hut aufzusetzen. Eine große, allzu große Aufgabe. Das war bereits mitten im Advent, und das Weihnachtsfest war für ihn damit geschafft. „So fertig!" hörte ich eine Dame vor sich hinmurmeln. Die stand vor mir in der Schlange an der Kasse der Uelzener Buchhandlung und sie murmelte, als sie ihre zwei Tüten, gefüllt mit Büchern, marschbereit im Griff hatte. Es schwang in ihrem „So-fertig!" ansatzweise jener befriedigte Ton mit, wie bei jenem Dirigenten. Jener Ton, der den Seufzer der Erleichterung von jenem der bevorstehenden Last unterscheidet. Aber bei dieser Dame schwang er eben nur ansatzweise - sie hatte wohl nur ein Etappenziel erreicht. Das war am 23. Dezember. „Das wär‘ im Kastl!" hat dann jener emeritierte Kollege in Wien geseufzt und zwar mit jenem Ton, der den Seufzer bei Etappenzielen unterscheidet von dem bei Endzielen. Das war am 24. Dezember mittags, als er um 12.45 Uhr in Wien die letzte Post entgegennahm und sich buchstäblich „umgehend" an die Beantwortung der soeben eingegangenen Weihnachtspost machte. So kriegten wir alle, die ihr Faxgerät anhatten, seinen Weihnachtsgru per Fax bis zum Heiligabend - mitsamt dem Dank für unseren lieben Gruß. Post bekommen - Post beantworten - Zuwendung nehmen und Zuwendung geben ein Aufwasch! Sein Fest war „im Kastl". „Das hätten wir überlebt" diese Worte wurden gewispert in der Heiligabendvesper in der Barnstedter Gutskapelle. Dort standen die Musikanten ganz hinten, direkt vor der schweren Kapellentür, die nach innen auch dann gewaltig aufschwingt, wenn der Besucher nur hineinschleichen will. Da es auch Heiligabend (zu) Spätkommende gibt, wurden die Musikanten buchstäblich durch die Tür weggefegt von ihren Notenpulten, so daß das besinnliche Vorspiel halb zerfiel. Oder der Schluss gut gelang. Je nach Perspektive. Zudem zerkrähten dermaßen viel ungestillte Säuglinge wohl die Konzentration des Geistlichen, so daß dieser ein erstes Lied überging und mit dem zweiten begann. Neue Fest- und Feierbewährung für Musikanten und zwanghafte Ritualisten. Ein weiteres schönes Fest, dies Fest im Kasten, dies lebend überstandene Fest, dies Fest, das wieder geschafft ist. Es ist in all dem das letzte „normale" Weihnachtsfest gewesen. Das nächste wird das Etikett „das letzte Fest" erhalten, bevor es geschieht: Das letzte im Jahrhundert, das letzte im Jahrtausend...Was steht auf der Einladung für die Silvesterparty übermorgen? Willkommen zur letzten Silvester-Ruhe - vor dem Sturm derjenigen in einem Jahr.

29. Dezember 1998