Ausländisches

Heute war ein trüber Tag - draußen, am Himmel und auf der Erde, meine ich. Genauer: An unserem Ferienort. Ein Tag, an dem ich 'mal wieder vermute, daß es im und über dem Kreis Uelzen, überhaupt zuhause, am schönsten sein dürfte. Umso erfreulicher war der Anblick der jungen Frau hinter dem Tresen der Bäckerei, in der wir die ersten frischen Ferienmorgenbrötchen abholen wollten. Da huschte sie hin und her ohne eilig zu sein, nickte dem jeweils neuen Kunden noch während des Glöckchenbimmelns im Türrahmen freundlich zu und mischte den deutschen Wörtern, die sie kannte, jenen Klang zu, der sie als Südländerin auswies, mindestens als hinter der schweizerisch-italienischen Grenze herkommend. Danach wirkten auch die bunten Farben im langen Rock, der um ihre Hüfte kreiste, wenn sie sich bewegte; danach bewegten sich auch ihre Hände und Gesichtsmuskeln. Auf schlichte Weise war die Frau wunderschön. Vor mir stand eine Dame der strengen Art in der Schlange. Jedenfalls trug sie sich so in ihrem Gesicht und trotz des Overalls. „Bitte, was wünschen Sie sich?" fragte mein Schwarm hinter dem Tresen jetzt diese Dame vor mir und ich freute mich schon darauf, wenn sie mich das fragen würde. Die Dame deutete nur mit dem Finger auf einen Haufen frischer Semmel und sagte: „Vier!" Außerdem spreizte sie die eine Hand, wobei sie den Daumen wegbog. Nach hinten zu mir und dem Rest der Schlange gewandt, - vermutlich alles Deutsche, wie meist hier - sagte sie: „Die verstehen einen ja sonst doch nicht." Die Verkäuferin hinter dem Tresen sagte nichts und wir anderen auch. Mit einem Lächeln, das mir ängstlich, zumindest unsicher geworden schien (oder war es meine Ängstlichkeit, Unsicherheit?) legte die Verkäuferin die Semmel in einer Tüte vor die Dame und sagte wieder „Recht so?" Während ich noch nachsann über das Wort „Recht" und das Fragezeichen dahinter sagte die Dame vor mir: „Ja, das Vollkornbrot da hinten" aber diesmal nicht mit ihrem Finger zeigte in der Backwaren-Landschaft herum. Und diesmal wusste die junge Frau auch nicht sofort, was gewünscht wurde. „Wie bitte schön?" fragte sie zurück. Es war der große Augenblick für die Dame vor mir. „Na - da hinten das Vollkornbrot, sehen Sie nicht?" sagte sie ärgerlich und zeigte auf die Ware hinter dem Mädchen. Zu uns nach hinten sagte sie triumphierend: „Nicht wahr - deutsch sprechen können sollten doch die Inhaber solcher Arbeitsplätze!" Während ich Worte suchte, um mich für die deutsche Dame vor mir zu entschuldigen, überhaupt zu entschuldigen für viele unentschuldbare Gemeinheiten, die gewisse Deutsche miteinander gemein haben, kam mir Christine neben mir zuvor. „Sie sind hier die Ausländerin," fauchte Christine die Dame vor uns an, Sie und ich sind hier Gäste. Außerdem ist der Arbeitsplatz unserer freundlichen Bedienung kein deutscher Arbeitsplatz. Und wenn er deutsch wäre - dann dürfte unsere freundliche Bedienung (Christine nickte der erröteten Verkäuferin zu) noch mehr Höflichkeit erwarten als hier, wo wir Gäste sind!" Wie auf Wolken ging ich aus dem Laden - was waren das für zwei tolle Frauen, die Verkäuferin und Christine! Und was gibt es für deutsche Drachen, angesichts derer man nur über die Wolken emigrieren sollte. Oder sie nach Strich und Faden auseinandernehmen und wieder neu zusammensetzen sollte.

29. Juni 1993