Hilfe, die Herdmanns kamen

Schon genug von Maria und Josef und Englein und sowas? Dann überschlagen Sie die Geschichte von den Herdmanns und sparen damit Zeit für die drei Weihnachts-„KK's“ (viel Küche, weniger Kinder und höchstens einmal Kirche).Meine Überschrift heute war der Titel über dem Theaterstück, das ich mir wenige Tage vor dem Christfest zur stimmungsvollen Einstimmung in eben dieses im kleinen Saal von Munstermanns Gaststätte gönnte. Das Stück erzählt von einer Dame, die furchtbar aktiv in ihrer Kirchengemeinde alljährlich das Krippenspiel besorgt, indem sie genauestens die Rollen von Maria und Josef, Englein und Hirten je nach ihrer Sym- oder Antipathie verteilt. „Kanzelschwalben" hießen solche übereifrigen und überbesorgten Zulieferer des Pastors (bzw. letztlich Zulieferer des lieben Gottes) bei uns zuhause. Das wichtigste in dem Stück „Hilfe, die Herdmanns kommen..." ist der Beinbruch eben dieser Kanzelschwalbe, aufgrund dessen eine andere Dame das Krippenspiel managt. Doch vor den Erfolg des Krippenspiels hat der Autor die Herdmanns gesetzt: Eine vielköpfige Geschwisterschar aus fast asozialem Hause, das dem Theaterpublikum als Horde pubertierender, fürsorgenaher, teilkrimineller Rüpel gezeigt wird. Ausgerechnet diese grausige Randgruppe der Gesellschaft nutzt den Beinbruch der Kanzelschwalbe und die Toleranz der Vertreterin aus und drängt sich überzeugend brutal in die Proben des Krippenspiels. Die dem Christus besonders intim verwandten Rollen der Mutter Maria und des Josef fallen unter Gruppendruck ebenso an die Herdmann-Ungeheuer wie die Lichtgestalten der Engel und die braven Hirten. Marias Figur schrammt nah vorbei an einer sehr bindungsarmen Frauentype, Josef bleibt ein Brutteltyp harmloseren Clochard-Zuschnitts, der Engel ist ein Bengel, der statt Lukas 2 - Verkündigung Horror-Video-Leitfiguren ankündigt. Schön geschrieben, dies Stück, noch besser gespielt! Es half zumindest mir übermäßige Klischee-Erwartungen an Weihnachten herunterzuschrauben und sich der Realität zu nähern. Diese Herdmanns als Gesellschaft Jesu bei dessen Geburt waren nicht andächtig knieende (Hirten-)Softies, waren keine geldverschenkenden Lotto-Onkels aus dem Morgenlande und geschlechtslose Engel, sondern - eben Herdmann-Typen. Das Stück erinnerte auf humorvoll-sarkastische Weise daran, wie stimmungsvoll - und inhaltsarm gemütvolle „deutsche Weihnachten" sein kann und damit weit weg von „richtigem" Weihnachten. Von wegen ,,dörflichem" Theaterspiel: Was da in unserer Dorfgaststätte (wie in vielen Dörfern heute die einzige echte Kommunikationszentrale) geboten wurde, war ein Kette kleiner Entdeckungen: Da war der (echte) Pastor im Hintergrund, der die wirkliche Inszenierung dieses ganz und gar unkirchlichen Stücks verantwortete. Und da waren die kleinen Pannen wie Versprecher und Lichtkegel an falschen Stellen, anhand derer die Spieler zeigten, wieviel kreativer sie damit umgingen als die perfekteste TV-Einöde. Weswegen dies Stück nicht nur auf dörflicher Bühne, sondern auch in der Kirche gespielt wurde. Und weswegen dies Stück nicht nur Bedeutung für Weihnachtszeitkreise hat, sondern gleich für Ostern, Pfingsten, Hochzeiten, Beerdigungen mit... Überall wären Herdmanns nötig. Als nächstes zu Silvester und (Prost!) Neujahr!

28. Dezember 1993