Brennende Kerzen - wofür?

Noch ist die Zeit in der auch weniger gemütvolle Kerzen anzünden. Eine Zeit, in der selbst auf den Tischen angeblich knallhart denkender und angeblich entsprechend fühlender Manager die weihnachtssaional bedingte Anstandskerze brennt. Die Kerze als Symbol und Symbol heißt „für etwas stehen". Nur ja, für was brennt die Saisonkerze 1992? Dies Jahr hat die Kerze und ihren Symbolwert gewandelt, umbesetzt: Wir sind auf bestem Wege, die Kerze als Protestmittel, als Symbol des Widerstands zu entwickeln. Angefangen hat es mit dem Aufruf des Bischofs von Holstein-Lübeck im November, brennende Kerzen als Zeichen des Protestes gegen die Möllner Morde in die Fenster zu stellen. Was auch geschah und was von der Motivation - dringend nötig, wenn auch nicht notwendend, die Not wendend war. Aber seit Mölln sehe ich den Kerzen in den Fenstern nicht mehr an, wofür sie stehen: Steht jene Kerze dort für die adventliche bzw. jetzt weihnachtliche Motivation des Friedensfestes? Oder strahlt da eine Protestkerze gegen Ausländerhass? Bei Uelzener und Kreisuelzener Fenstern mitsamt deren Kerzen bin ich völlig verwirrt, eine Gruppe von engagierten Frauen hat aufgerufen, Kerzen als Protest gegen die Massenvergewaltigungen moslemischer Frauen und Mädchen in Bosnien-Herzegowina anzuzünden und strahlen zu lassen. Ich fühle Sympathie mit den Frauen, auch Erleichterung darüber, wieviel Protest es gibt, dem ich mich anschließen, anfühlen, den ich verstärken kann und will. Aber die Kerzen! Für was stehen nun die Kerzen links oben beim Nachbarn - gegen Möllner Morde oder gegen Massenvergewaltigungen in Bosnien oder gegen den Hunger in der Welt? Oder gegen die Entlassung der Klöckner-Arbeiter, unter denen auch eine Kerzen- Aktion stattfand? Kerzen stehen nicht mehr für etwas - etwa für Licht im Dunkel oder für Wärme in der Kälte. Oder brennen nicht mehr für (das Gedenken an) die „Brüder und Schwestern in der Zone" meiner Kindheit (seit diese Brüder und Schwestern zu entfremdeten und befremdeten armen Vettern und Basen wurden). Kerzen stehen neuerdings gegen etwas. Kerzen rücken damit als friedliches Protestmittel in die Alternativfunktion zum Pflasterstein als unfriedlichem Protestmittel. Die einfache Kerze für Wärme, für Licht, für Weihnacht oder Geburtstag - geht langsam aus. Die Bischöfin in Hamburg, hat die Alsterdemonstration mit den über 300 000 Kerzen am 3. Advent mit Worten kommentiert, die mein Problem lösen konnten. Die Bischöfin hat die Demo dankbar kommentiert, weil sie - die Demo mit Kerzen - eine Lichterkette für Ausländerfreundlichkeit, für Ausländerakzeptanz, für Frieden miteinander stünden. Womit wir wieder am Anfang wären, wo Kerzen noch für etwas leuchteten. Nicht gegen...Schönes Detail, daß die Kirchenleitung, die die Kerze als Protestmittel einsetzte, männlich war, daß die Kirchenleitung, die dieselbe Kerze als Friedensmittel einsetzte, eine Frau ist. Noch dazu eine Maria. Wie (weihnachtszeitgemäß.

28.12.1992