Von Männer- und Mannsbildern

Im Arbeitszimmer von Großonkel Friedrich-Wilhelm (1,84 Meter groß und für die sonstigen Mittelmänner unserer Familie ein damals heimlich beneideter Hüne) hing ein Bild vom Preußenkönig Friedrich-Wilhelm, der zwar am Leibe kleiner als mein Onkel Friedrich war, dafür in der Geschichte der Größere. Wenn auch nicht der ganz Große (wie sein Sohn). Der Held prangte da oben und das sagt alles: Er prangte! Einmal prangte er vielleicht deshalb schon, weil sein Bild zwischen dem Bild vom lieben Heiland als gutem Hirten und dem Bild von Tante Hedwig, Onkels Frau, hing. Das Prangen rührte aber sicher auch von der vorgewölbten Brust hinter dem Rüstungspanzerschild her und von den prallen, brokatbedeckten kurzen Oberschenkeln, deren größerer Teil dann in den schwarzglänzenden Stulpenstiefeln verschwanden. „Ein wunderbares Mannsbild" hörte ich Tante Hedwig manchmal vor den Bildern seufzen, die sie nach meiner Erinnerung nur dann betrachtete, wenn Onkel Friedrich-Wilhelm in der Nähe war. Zudem blieb mir unklar, wer da oben das wunderbare Mannsbild war: der Dicke in der Rüstung oder der liebe Heiland im Hemd. Doch die Zeiten änderten sich. Ich gab meine frühe Absicht auf, ein solches Mannsbild werden zu wollen wie jener Feldherr oder wenigstens wie Jesus, weil die neue Gesellschaft, meine Gesellschaft, die innere Reflektion von Männerbildern mehr honorierte als die Pflege des eigenen Mannsbildes. Ja, das dachte ich. Der Mann von heute wird aufgrund der Pflege des Weiblichen im ihm selbst akzeptiert, nicht für das Mannsbild in ihm. Ja, auch das dachte ich. Für die partnerschaftliche Beziehungsgestaltung zur modernen Frau wird gekämpft und gelöhnt, nicht für patriarchale Werte, die den Mann blind gockeln und die sehende Frau unterlegen machten. Dachte ich auch, weil ich Emanzipation nicht nur für die Frau, sondern uns alle als Ziel sehe. All das dachte ich bis hierher. Und muss hier alles fahren lassen, weil ich mich in einer anderen Welt aufhalte: Der ungarischen Puszta. Nicht nur, daß hier in jedem Dorf-Postamt und jedem Restaurant, den Csardas, zahllose Abbilder von jenem prangenden Mannsbild in Onkel Friedrich-Wilhelms Zimmer hingen! Nicht nur, daß diese viel schöner, viel schlanker, viel sehniger, viel leidenschaftlicher ihre Nonius-Pferde nur im gestreckten Galopp bei den Vorführungen für uns Touristen auf Varga Tanja lenkten! Nicht nur, daß ihre blauen Röcke und dunkelbraun-gegerbten Gesichtshäute noch schöner schienen als der Habitus vom Winnetou in Bad Segeberg und ihre Zurufe an Pferde und Touristen von verhaltener Kraft und brennendem Feuer zeugten nein, das hätte der Knabe in mir alles genauso toll gefunden. Aber wie wir modernen deutschen und österreichischen und schweizerischen Männer da zwischen unseren modernen Frauen und Töchtern hockten und - statt daß wir uns gemeinsam über die Gefahr solch alter patriarchaler Hahnenkampf Strukturen unter erwachsenen Männern austauschten uns Bewunderungsrufe, Anfeuerungsschreie und sonstige Begeisterungsformen für eben diese Hähne anhören mussten - das war ein schlimmes Zeichen für die mühsam errungene neue Männer-Welt. Kein Ungar, kein Zigeuner, kein Ober und kein Hirte, dem wir nicht in diesen Puszta-Tagen begegnet wären, ohne daß nicht über dessen Schönheit, dessen Kraft, dessen Gesichtszüge, dessen Mut und dessen Charme heiß und hitzig und kämpferisch debattiert worden wäre - von unseren Frauen und Töchtern! Kein Blick von Sandor, kein Nicken von Ferenc, die nicht eifersüchtig überwacht und bewundert wäre. Von unseren Frauen! Es ist Zeit, daß wir nach Hause fahren. Weg von diesen Mannsbildern und zurück zum modernen Männerbild.

28. Juli 1992