Ahnungsloses Wochenende
Wie er da so lag, eingewickelt in eine Wolldecke, hineingekuschelt in den rechten Winkel zwischen Hauswand und Terrassenwand, ein Buch auf den Knien und den Walkman auf seinem Eierkopf, auf dem nagelneuen nichtrostenden Luxus-Liegestuhl (mit Vertiefung für Aschenbecher und Getränkedose sowie Buchablage) - und das Ganze beschienen von einer immerhin milchigen Maipril-Sonne - da fühlte ich Neid! Keinen maẞlosen, aber immerhin. Denn Hermann ist Junggeselle und ahnt gar nicht, wie selten solche muẞevollen weekends unter Kreisuelzener Sonnenstrahlen für Familienväter rar sind, deren halbwüchsiger Nachwuchs ausgefahren sein will, Familienratssitzungen wegen Taschengelderhöhungen einfordert, wildfremde Freundinnen einlädt... Und dann erst meldet sich Christine mit wichtigsten Hausreparaturen. Von den mitgebrachten unerledigten Arbeitsresten der vergangenen Woche gar nicht erst zu schreiben. Abends traf ich Hermann und sprach meinen Neid aus - er ist mir nahestehend und nahewohnend, und deshalb geht das bei ihm. Ich machte das, indem ich mit dem Satz anfing: „Du hast ja keine Ahnung, wie gut Du es hast!" Zu meiner Überraschung verstand er nicht nur nichts, sondern begann übergangslos zu jammern - über dieses sein Wochenende in seiner Faulenzer-, Genuss- und Muße-Ecke, eingewickelt in eine Schafwoll-Decke, mit Sonnenstrählchen über und Luxus-Liege unter sich. Gänzlich sich selbst lebend. „Du hast ja keine Ahnung," jammerte Hermann. Und dann klagte er weiter, wie sein Hausarzt ihm wegen der verschleppten Bronchitis diese Liegekur im Freien verschrieben habe. („Du weißt doch, meine Bronchitis, unter der ich seit Weihnachten leide?" - sowas zwingt zum widerwilligen Mitleid). „Und das, nachdem ich die ganzen 14 Tage Osterferien in Tunesien war - 10 Tage davon nur Wolken und Regen", malte Hermann seine Unglückszeit weiter aus. „Weißt Du überhaupt, was das kostet?" Ich nickte blöderweise, obwohl ich keine Ahnung hatte, derart massiv überwältigte mich sein Klagen. „Außerdem musste ich dieses Buch rezensieren, (er schlug mit der Fliegenklatsche in der Hand auf die Tischplatte) und selten gab es ein so blödes Buch, das ich so gut besprechen muss, weil der Autor mein Berufsverbandsvorsitzender ist." Ich wurde immer kleinlauter und mein Neid sah keinerlei Chance mehr, Verständnis zu finden. „Und bei alledem wollte ich noch die Musikkassette endlich einmal genießen, die ich von Weihnachten her habe," tobte Hermann. „Es ist eben alles eine Einstellungsfrage", murmelte ich mehr zu mir, als zu Hermann, der weitertobte. Ich trollte mich eilig zurück zu den Kindern und Christine und klagte über Hermanns Klage. Alles eine Frage der Einstellung," meinte Christine. Und anlässlich ihres phantasielosen, gefühllosen, unsensiblen Schlagsatzes konnte ich mich endlich ärgern.
28. April 1992