Es geht um die Wurst
Manches wird (mir) erst beim Rückblick klar. Und bevor die Sache gänzlich verpufft - zusammen mit den Abgasen der Autoschlangen an den kommenden verkaufsoffenen Adventssamstagen sei sie ganz rasch noch betrachtet (vor den vielen Advents - und Weihnachtsbetrachtungen): Die Sache mit dem traditionellen Grünkohl- und Kopfwurstessen am letzten Buß- und Bettag. Denn ich war mehrfach eingeladen: Von den Kirchen zu den Gottesdiensten am Buß- und Bettag und von meinen Lieblingsgasthöfen zu den seit Sommer ersehnten Völlereien. Die Kirchen boten traditionellerweise ebenso bescheiden wie werbeunwirksam ihre Gottesdienste an. Die Gasthöfe inserierten mit dem Hinweis auf das „Traditionelle" ihres Angebotes am Buß- und Bettag, wählten dafür aber Schrifttypen und -größen, die dem angebotenen Viehzeug entsprachen. Nicht nur in unserer Zeitung wurde die enge Verzahnung der Traditionen von Buß- und Bettag und Wurstessen verschiedener Sorten dokumentiert. Landauf landab wetteiferten die Einladenden in den Zeitungen zwischen Harz und Heide und Friesland: „Eigene Schlachtung am Buẞtag". Oder: „Bußtag: Eine delikate, reichhaltige Schlachte-Platte erwartet Sie!". Oder: „Deftiges, Kräftiges ist bei uns am Buẞtag angesagt." Sagte ich schon, daß ich gern Fleisch esse? Mir läuft bei solchen Anzeigen (der Gasthöfe) das berühmte Wasser im Munde zusammen. Aber einem Pastor im benachbarten Celle lief nicht nur dieses Wasser zusammen, sondern auch die Galle über. Ich weiß nur nicht, weswegen. Denn dieser Mann Gottes hat nichts gegen Wurst und Wurstessen. Er schreibt, daß er gegen den Buß- und Bettag sei, weil die Traditionen des Wurstessens, Grünkohlverzehrs und Schlachtens ganz offensichtlich die Tradition des Buß- und Bettags überlagern, der Mann hat Recht: Wer las je von der „Tradition des Buß- und Bettags"? Die wenigsten kennen die Botschaft dieses kirchlichen Feiertags. Aber alle kennen ihn als Tag, an dem es - buchstäblich um die Wurst geht. Zum kirchlichen Feiertag gehört eigentlich nur die allgemein bekannte Tradition, daß die Behörden in ebenfalls Kleingedrucktem alle Jahre wieder darauf hinweisen, daß der Buß- und Bettag einer der „stillen" Feiertagen sei und man nicht laut sein dürfe. Na - wer redet schon beim genüsslichen Kauen von Wurst? Dieser Pastor da in Celle, er hat Recht. Man sollte, schreibt er, Buß- und Bettag nicht per Gesetz zu einem solchen machen. Er will gar keine neuen Verfügungen, die den Wurst-Festtag wieder zum Feiertag machen. Er schlägt vielmehr vor, einen Landeswursttag einzurichten, um der weltlichen Realität Rechnung zu tragen, so daß man Buß- und Bettag endlich ohne Reue so viel Fleischfresserei treiben kann, wie man will. Er schließt seine Ausführungen mit der Begründung, daß seine Kirche den Wurst-Tag und dessen Traditionen nicht nötig habe, um in so viel Anzeigen landauf landab den, „Buß- und Bettag" fettgedruckt wiederzufinden in den Anzeigen der Kopfwurst anpreisenden Speisestätten. Sozusagen Fett zu Fett, aber nicht in Verbindung mit christlicher Ethik. Nur in einem hat er Unrecht, dieser Geistliche: Die, die ich letzte Woche Buß- und Bettag bei Kopfwurst und Grünkohl im Gasthaus statt im Gottesdienst wusste - die haben keineswegs so ganz ohne Reue getafelt. Und ein pfiffiger Gastwirt wusste das schon vorher. Sonst hätte er nicht inseriert in seiner Anzeige: „Kostenlos servieren wir Ihnen Buß- und Bettag nach dem Essen wahlweise einen Korn oder Cholesterin-Tabletten". So kann man Buß- und Bettag ohne Reue feiern. Im Ernst: Der Kanzelmann da in Celle, der gar nicht abkanzelt, er versalzt einem die schönste Kopfwurst. In einem Kopf jedenfalls schwirrt sein Vorschlag, die Traditionen von Buß- und Bettag einerseits und Schlachte-Festessen andererseits zu trennen. Aber als Gottesmann wird er gewohnt sein, von der Welt überhört zu werden. Es hat sich nämlich nichts geändert, seit er das schrieb. Und das war 1957. Zum Buß- und Bettag. Die Überschrift seiner Kolumne: Es geht um die Wurst"
27. November 1990