Lieb Vaterland
magst ruhig sein - so lautet es in jenem friedliebenden Kampfgesang von der Wacht am Rhein. Ein Lied, ohne dessen T ne und Worte kein Roman, kein Spielfilm auskommt, der die (deutsche) Stimmung um die kleinen und gro en Kriege der letzten anderthalb Jahrhunderte einfangen will. Gestern Nacht h rten wir dies Lied vom Nachbarbungalow her berschallen, woher vorher schon nnchen von Tharau" und So ein Tag so wundersch n wie heute her bergeklungen war. Wie gesagt: Die beiden letztgenannten Lieder hatten noch entfernte Verwandtschaft mit Klingen", mit Musik gezeigt. Die Wacht am Rhein mit den Worten vom lieben ruhiggestellten Vaterland drifteten schon in Richtung Beschallung der Nachbarschaft. Und in dieser Nachbarschaft waren wir die einzigen Deutschen - ansonsten leben wir hier unter Familien aus der Schweiz, aus Frankreich, aus Spanien, England, den Niederlanden ... Hoffentlich, fl sterten wir bei den n chtlichen T nen von nebenan, hoffentlich sind die anderen G ste noch beim Strandfest unten - oder schon im Tiefschlaf. Vielleicht, hoffte Christine weiter, verst nden die, die noch unsere deutschen Nachbarn anh ren m ssten, gar nicht mehr die historische Bedeutung des Liedes. Vielleicht seien nur wir so empfindlich... Leider war der Nachtgesang der Deutschen am n chsten Abend beim Buffett Tischgespr ch. Zumindest schweizerischen Tischen konnten an den wir es selbst in den Gespr chen h ren. An den franz sischen Tischen ging es um dasselbe. Dort h rten wir zweimal die ber hmt-ber chtigte Melodiezeile nachgesummt, angesungen leise und mit Seitenblicken auf uns. Die Deutschen. Unzweifelhaft ist die Musik dieses Liedes interessant, teilweise finde ich sie sch n - wir haben schlechter, Komponiertes in deutscher Kunst. Und dieses Lied kann kaum daf r, da es sch n und missbraucht wird - wie so vieles missbraucht wird, was sch n ist und deshalb wirkt. Eher k nnten wir Deutsche etwas dagegen tun, da diese symboltr chtigen Sch nheiten in der Kunst nicht dort gepflegt werden, wo weniger die Sch nheit als die reale Bedrohung in einem solchen Lied gesehen werden muss, unter dessen Kl ngen sich unsere Urururgro v ter ebenso aufr steten gen Frankreich wie noch unsere V ter gegen die ganze Welt...Solches oder hnliches versuchten wir in den beschwichtigenden Diskussionen an den Tischen unserer Gastgeber in diesem Hotel zu formulieren doch mehr als trauriges Verst ndnis f r die Besoffenheit unserer Landsleute und die Gef hrung durch sie waren an diesem Abend bei den Nachbartischen nicht zu erreichen. Gef hrdung? Sie gef hrden Ihr Vaterland mit solchem Lied" h rte ich den schweizerischen Gesch ftsf hrer zur Gruppe der Deutschen sagen, die nachts f r die musikalische Brandkatastrophe gesorgt hatten. Doch deren Anf hrer - genau einen solchen haben solche Gruppen auch (wieder), fiel mir dabei erst auf - lachte nur, ein zweiter zuckte verlegen die Achseln. Vor den Zweiten dieser Art habe ich am meisten Angst in unserem Vaterland. Aber dagegen an k nnen wir auch: Mit unserer Muttersprache.
27. Juli 1993