Fallende Feste

Manche Leute versprechen manchen Leuten Geld und halten das Versprechen nicht. Wieder andere machen solche Versprechen mit Liebe und diese hält nicht. Wieder andere versprechen das Blaue vom vorösterlichen Himmel herunter und halten nicht einmal solch Versprechen. Alexander verspricht Feste. Und feiert sie einfach nicht. Alexander feiert sozusagen nicht etwa Feste, wie sie fallen. Alexander feiert fallende Feste, indem er sich ankündigt, aber fallen lässt. Als Alexander vom Lehrer zum Schulleiter avancierte sagte er seinen Kollegiumsmitgliedern: Ich mache ein großes Fest, mit Kollegium, allen Schülern und Eltern. Es sollte auf dem Schulhof stattfinden, und rauschender sein als jedes Schulfest für wohltätige Zwecke. Nichts kam. Denn Alexander wurde gleich nach Dienstantritt in Verhandlungen verwickelt, ob er nicht schließlich hatte er speziell promoviert im Kultusministerium ein Dezernat übernehmen wolle. Alexander tröstete Kollegen, Schüler und Eltern und bat um Wartezeit: Wenn er Dezernent würde, würde das Fest noch größer, schöner, länger, rauschender. Das war vor zwei Jahren. Zwischenzeitlich wurde Alexanders Tochter zehn Jahre alt und Alexander versprach ihr, die erste zweistellige Zahl gebührend zu feiern. Nach mehrmaliger Anmahnung, wann er dafür nun Zeit fände, versprach er, auf seinem großen Jahresfest extra für die Tochter - nachträglich zu Ehren ihrer zehn einen Ein-Mann-Zirkus zu engagieren, dessen Direktor, der Uwe, ein Freund von Alexander war. Die beiden hatten zusammen Erziehungswissenschaft betrieben und der eine war eben Direktor eines Ein-Mann-Zirkus geworden, der andere Direktor eines Instituts mit 38 Mitarbeitern. Denn das war Alexander inzwischen. Er war nur kurz im Ministerium, als man ihm dies Institut angetragen hatte. Als er es nahm, versprach er, die ausstehenden Feste zusammen zu fassen zu einem Großfest, einem Fest der Feste, einem wahren Sommernachtstraum. Aber sie alle müssten warten, weil er jetzt erst einmal neu und endgültig bauen würde. Privat. Und Alexander baute. Das Fest sollte anlässlich der Einweihung des Hauses sein und rückwirkend die Schulleiterstelle mit Kollegium, Elternschaft und Schüler, den zehnjährigen Geburtstag, die Institutsübernahme und auch den Freundeskreis feiern, der seit Jahren Geschenke zum Geburtstag brachte, auf dem Alexander jeweils sagte, wenn seine derzeitige Belastung sich abschwäche - dann würde er die freundlichen Freunde nachträglich noch zum Geburtstagskranz laden. Alexander wohnt inzwischen zwei Jahre in seinem Haus und ist so etwas wie ein hohes Tier sowohl in der Kultusverwaltung als auch in der Lehrergewerkschaft als auch in der Politik. Alexander ist sozusagen als mehrfaches hohes Tier ein kleiner Zoo für sich. Aber ein Fest hatte er noch nicht gefeiert, als er jetzt - anlässlich seines ganz gewöhnlichen Geburtstages eine Urkunde vom Mitarbeiterstab seines Hauses erhielt. Auf der stand - sinngemäß und in gotischer Frakturschrift - geschrieben, daß sie, die Mitarbeiter, ihren Chef, ihn, Alexander, zu einem Fest für ihn einladen. Dies Fest sollte er selbst terminieren und sie würden es für ihn ausrichten. Wenn er nicht käme - zu diesem Fest, das sie ihm schenkten, weil sie einmal mit ihm feiern wollten (denn mögen taten sie ihn fast alle), wenn er also absagen sollte oder unterminieren und wieder vor sich hinschieben - dann - dann kündigte die Urkunde an- dann würden sie allesamt mit fünfzig Leuten eines Tages unangemeldet an einem Wochenende sein Gelände besetzen. Und eine bottle party feiern. Alexander hat es begriffen. Alexander hat auch mich eingeladen. Zu einem ganz genauen Termin. Er hat viel zu sehr Abscheu vor unangemeldeten Besuchern. Und Alexander wird für dieses Fest mieten. Zelte nämlich. Für Kollegium, Schüler und Lehrer von damals, für seine Töchter mit den zahllosen Freundinnen, für sein Institut und die Gewerkschafter. Er wird den Ein-Mann-Zirkusdirektor einladen und die beiden Musikgruppen von Holger aus Hamburg und Ilses Tanzorchester von Andreas aus Altona. Er wird es auch gar nicht bezahlen müssen, dies Fest, weil es ja ein Geschenk ist. Nur die Zeltmiete.

27. März 1990