Mütterliches

Männer, so schrieb Gertrud Katja Loos einmal in einem Vortragsskript (nebenbei: Sie eröffnete auch das Uelzener MUT-Zentrum) - Männer also geben unbestritten in dieser Welt den Anstoß zu vielem. Bei der Zeugung von Menschen gar, buchstäblich im Zeugungsakt, sind sie es sogar allein, die den An-Stoß fürs neue Leben geben. Wieweit wir Männer dann weitere Verantwortung für das neue Leben übernehmen und wenn, wie wir damit umgehen - das lässt sie klugerweise offen. Und tatsächlich: Das Tragen und Austragen dieses Lebens im physischen wie seelischen Sinne - das war Sache der Mütter. Gegenwärtig nun bessert sich unsere Rolle als Zeugende und Väter bei uns Männern. Die neueste Säuglingsforschung beweist uns, daß wir so unnötig nicht sind, wie es bisher oft den Anschein hatte und weswegen sich manche Männer erst spät in die Verantwortung genommen fühlten. Was sagte noch Sigmund Freud vom Säugling? Er sei ca. erst ab dem zweiten Lebensjahr „bildbar" Und interessierte und kümmerte sich sowohl als Vater wie als Wissenschaftler entsprechend spät um den Nachwuchs. Das ist - den Sternen der neuen Säuglingsforschung sei Dank - heute anders: Wir folgen den Ratschlägen von Ratgebern in Kursen und Büchern und singen, summen und märchenerzählen auch als Männer zunehmend in der Nähe der Bauchwände der schwangeren Mütter unserer künftigen Kinder. Wir lernen spezielle feinst motorische Massage-Streichelmethoden, mit denen wir durch die Bauchwand mit dem Ankommenden kommunizieren können. Wir belegen zusammen mit den werden- den Müttern Schwangerschaftskurse - kurz, wir üben uns im Mütterlichen, das man (und manchmal auch frau) uns vor besagter Säuglingsforschung absprach. Das Ziel: Dem werdenden Leben hör- und fühlbar zu machen, daß es auch uns Vätern hochwillkommen ist. Wir werden mütterlicher, wir werdende Väter. Und dennoch es bleibt eine Mütterlichkeit den Müttern vorbehalten, die weit mehr ist als das ganzheitliche Tragen und Austragen in der Schwangerschaft und das Ertragen des späteren Lebens dann erklären lässt. Diese Mütterlichkeit auch uns so gebildete Männer von heute in Schrecksekunden spontan noch „Mutter" rufen oder eine fromm-saloppe Form wie „mama mia" und dies nachweislich in nicht nur katholischen Gegenden, wo dann außer der irdischen, eigenen noch eine andere Mutter gemeint sein könnte. Diese Mütterlichkeit lässt viele Menschen in einem schweren Fieber u.a. Krankheitsprozess an die Mutter der Kindheit denken. Diese Mütterlichkeit lässt die meisten Menschen in ihrem Sterbeprozess nicht nur nach Ehepartner und Geliebte rufen, nach Kindern oder Testamentsnotaren - sondern auch nach der Mutter. In der letzten AZ-Sonntagsbetrachtung von Pastorin Dr. Butting wurde eine spezielle Tochter-Mutter-Beziehung skizziert. Aus diesem und weiterem Anlass schreibe ich hier in Dankbarkeit von einer anderen Mutter-Kind-Beziehung. Von einer, die allgemein mit zu den kostbarsten Beziehungen unseres Lebens gehören kann. Eine, die ich erleben durfte. Und eine, die wir sprachlich-wissenschaft- gänzlich hoffentlich nie erklären werden können. Obwohl sogar unsere Sprache „Muttersprache" heißt.

26. Februar 1998