Von Piepern
Die Sommerzeit ist eine, wo manche Städter zu Laubenpiepern werden, indem sie in ihre Datschen, Schrebergärten und sonstigen Lauben flüchten, denen sie ihren Namen danken: (Lauben-)Pieper. Auch ich flüchte im Sommer vor den Segnungen der Zivilisation aufs Boot, wo ich allerdings Pieper meide: Nötige Pieper aus dem Klinikalltag, unnötige Uhren- und Handy-Pieper, die das schönste Adagio von Vivaldis Sommer im Kloster-Konzert ebenso zerstören, wie jede stille Andacht im Gottesdienst und jede geflüsterte Liebeserklärung. Mit dem Boot aber gelangt der Mensch an pieperlose idyllische Orte und an einem solchen lagen wir nun. Nicht vor Madagaskar, aber vor Nystedt. Auf dem dänischen Lolland. Die Sonne schien (selten genug), die Skipper und ihre Familien dösten oder plauderten in dem Hafen zwischen Wikinkgerschloß und Barockkirche in der Augustwärme (noch seltener) bei Cola oder Brause. Da geschah mit der Idylle, was immer droht, wenn es idyllisch wird: Halberwachsene männliche Sprösslinge am Ende des Stegs begannen mit dem Beiboot und 4-PS- Motor die Ruhe zu durchpflügen. Kaum, daß erstes Kopfschütteln die umgebenden Dösenden und Plaudernden heftiger bewegte, geschah, was immer droht, wenn unsere Jugend Moped auf dem Wasser fährt: Immer dann holen sich andere Jugendliche ein zweites Boot mit zweitem Motor und ein Wettbewerb des Krachs beginnt. Das Kopfschütteln der Älteren nahm zu, aber auch die Neugier von Mädchen auf der Bank am Hafenufer. Und es geschah, was immer droht, wenn vier konkurrierende Jugendliche auf zwei Mopeds oder Booten mit Motoren ohnehin im Wettbewerb der Kräfte stehen: Der Wettbewerb wird zum leidenschaftlichen Turnier, nach dessen Stechen die Zuneigung der Schönsten winkt. Es gab Ältere unter den Dösenden und Plaudernden, die dem ein lautes Ende machten. Es wurde wieder idyllisch. Was, wie wir lernten, mit Bedrohung zu tun hatten: In die neue Idylle war es zunächst nur von ferne zu hören: jenes Piep-piep-piep. Guildo Horns Piepen mit 125 Dezibel (Boeing-727-Turbine) hätte nicht mehr Zuwendung erhalten können: Alles schaute hoch in dieselbe Hör-Richtung. Denn Pieper zeigen immer „Alarm" an. Alle Schiffe, die der Zivilisation entfliehen haben Pieper. Pieper für Batterie-Alarm am Motor, Pieper für Tankleere, Pieper für Fischzug-Anzeige, Pieper für Tiefenalarm. Pieper für Untiefe, also Flachwasser. Und Nystedts Hafen ist von Flachwasser umgeben... Wir warteten etwa 15 Minuten, in denen bekanntlich - wenn sich das Ohr ausrichtet, also „spitzt", jedes störende Hören unerträglich wird. Alarm, ohne daß Hilfe nötig ist, quält auch. „So ein Idiot!" rief ein Spontan-Kritiker. „Klingt wie auf einer Intensivstation," sagte jemand Analytisches. „Wir müssen den Hafenmeister holen!" schrie jemand Autoritätsgläubiges. Klaus Schaefer gegenüber von der „Kuta" bekam später recht: „Da ist jemand selbst Essen und sein Tiefenmesser angegangen... wir müssen warten, bis er zurückkommt." Wir haben uns beholfen: Wir haben zwei der Jugendlichen mit ihrem Boot gebeten, sie möchten doch wieder fahren. Denn das Piepen ist Terror. Jugendliche im Motorbötchen aber ganz normal und überlagern das Piepen.
25. August 1998