Diktaphon im Sonnenuntergang
Alexander besitzt ein Diktaphon, von dem die Werbung aussagte, daß es in jede Westentasche passe und den Mann von Welt in eben dieser unabhängig mache. Nun ist diese Westentasche heutzutage mehr eine Frage der Werbung, denn kein Mensch, geschweige ein Mann von Welt, am wenigsten Alexander trägt ernstlich Westen. Aber dieses Diktaphon begleitete Alexander überall hin mit: in die Konferenz, an den Strand, in das Flugzeug, in den Garten. Letzthin nun hatte er das kleine, feine Diktaphon mit in die Sauna genommen, um dort einige superwichtige Gedanken zu diktieren, die eine seiner Arbeitsfrauen später aufschreiben und in bestimmte Briefe integrieren sollte. Das Saunieren war Alexander dabei gut bekommen, aber dem Diktaphon nicht. Doch rechtzeitig zu seinen Ferien war es repariert zurück. Es sollte eine zwischenmenschliche Krise auslösen, die fast zu einer Kündigung von Alexanders Frauen führen sollte. Denn erstens riss Alexanders Ehefrau und Lebensgefährtin die Geduld. „Ich will einmal mit Dir Ferien machen und nicht mit einem Diktaphon, an dem Du dranhängst!" murrte Alexanders Frau, und er machte, daß das Diktaphon eilends in seinem Büro-Koffer verschwand. Mit 15 Ersatz-Tonbändern für das Diktaphon. Alexander baute eben darauf, daß besonders kreative Ideen besonders in Entspannungs-Situationen kommen. Z. B. eben am Nordseestrand Dänemarks oder in der Sauna. Natürlich kündigte Alexanders Frau nicht ihre Ehe, als ihr Mann gleich am zweiten Tag aus den Bermuda-Shorts das Diktaphon zog und während des Sonnenuntergangs über Vide Sande die Idee für eine neue Tabellen-Struktur in das Gerät flüsterte, nach der ausgefallene Unterrichtsstunden schneller analysiert werden konnten (Alexander reicht derzeit als Steckpferd in seiner Behörde Statistik...). Diese schwierigen Gedanken flüsterte Alexander hinein in sein Diktaphon, weil seine Familie und andere romantische Menschen andachtsvoll um ihn standen und in die wirklich wunderschöne, rote Sonnenkugel schauten. Ein Rot, das Alexander an Scharlach denken und den Plan fassen ließ, die Kinderkrankheiten im Regierungsbezirk Lüneburg statistisch erfassen und in Bezug zu der veränderten Klima-Lage der letzten Jahre setzen zu lassen. Trotz des Flüsterns war Alexander zu hören, und seine Frau erwachte aus ihren abendsonnendurchglühten Tagträumen. Er sei ganz schlicht unmöglich, attestierte sie ihm auf dem Rückweg durch die Dämmerung. Und einfach nicht zu retten. Nein, sie kündigte immer nur Scheibchenweise. Seine Ehefrau. Ganz anders jedoch Alexanders Arbeitsfrau, der er zwei Tage später fünf volle Diktatbänder nach Deutschland schickte. Per Eilboten und Einschreiben. Alexanders neue große Ideen zu Statistik im Gesundheitsvorsorge-Bereich sowie sein Entwurf für die künftigen Motivations-Steigerungsmöglichkeiten für Führungs-Beamte im Ministerial-Bereich langten gesichert und eilangeboten bei Alexanders Sekretärin an. Doch die fand härtere Töne ihrem Chef gegenüber, als sie eine Weile in das Band hineingehört hatte. „Blödes Vieh!" hörte Alexanders Sekretärin unmissverständlich die Stimme ihres Herrn ausgerechnet mitten in einem Satz über Motivationssteigerung. Wenige Sätze später gab es keinen Zweifel: Ihr Chef war ausgeflippt. „Halt doch endlich Deine Gosche!" hörte sie entsetzt. Und endgültig agressions-enthemmt war Alexanders Stimme zu hören, als er im Falsett tobte: „Reife Weiber sind ja schlimmer als pubertierende Töchter!" (Alexanders Sekretärin zählte sich bis dahin selbstbewusst - zu den ersteren). Postwendend kam eine Karte nach Vide Sande zu Alexander. Von einer empörten Sekretärin, die Erklärung verlangte und zwar umgehend. Alexander gab die Erklärung. Umgehend, telefonisch und unter entschuldigenden Erklärungen: Er hatte tags zuvor mit seinem Diktaphon die Töchter auf einen Reiterhof begleitet, 3 Pferde gemietet und sich auf eines gesetzt, um Strandritt zu erleben. Na ja - und da war ihm erstens eine wichtige Idee gekommen und zweitens dieses blöde Vieh mehrfach durchgegangen. Und dabei sei wohl das Diktaphon weitergelaufen. Es täte ihm schrecklich leid...Und das mit den reifen Weibern, die schlimmer seien als? Was mit denen sei - wollte seine Sekretärin wissen, etwas beruhigter durch die Ersterklärung, aber irgendwie noch getroffen von der Zweitbemerkung. Jedoch verband Alexander auch diese Bemerkung ausschließlich mit Viehzeug. Er hatte seine Münsterländer-Hündin mit, und die sei eben läufig geworden. Hier in den Ferien an Dänemarks Strand. Und der sei bevölkert mit Hunden, die eben alle hinter ihr her seien. Wie die Knaben hinter seinen Töchtern. Alexanders Sekretärin schien fast beruhigt. Das mit dem Gosche halten wollte sie noch wissen, aber Alexander - er telefonierte schließlich spontan und unvorbereitet - wich merkwürdig unsicher aus. Tja da - meinte er kläglich - da sei das Band wohl mitgelaufen, als es familiäre Unstimmigkeiten gegeben habe...Armer Alexander - er erzählte mir heute von dem Rest seiner Ferien. Wie er heimlich abends runter zum Fischerhafen gegangen sei, heimlich mit dem Fahrrad in den dürren Kiefernwald gefahren sei nur, um heimlich sein Band vollsprechen zu können.
24. Juli 1990