Superaffengeil

Die Herrschaft von Töchtern über ihre Väter ist bekannt. Die Herrschaft meiner Töchter über mich geht soweit, daß sie im Verlauf ihres ersten Lebensjahr-Zehnts sogar meine Körperreaktionen bis ins Kleinste vorherberechnen können. Wenn ich zum Beispiel meine Augenbrauen hochziehen soll, braucht nur eine der beiden vorher in irgendeinem Zusammenhang zu sagen: „Geil!" „Geil" erklärte ich ihnen beim ersten Auftauchen dieses Terminus in Zeiten der Vorschule mit erregten Tieren, Männern und scharfen Frauen, mit Geduld und Spucke und vor allem Gelassenheit erklärte ich ihnen, was „geil" sei. Damals verschwand „geil" (kurz)fristig und ich lehnte mich zurück, dankbar dafür, daß natürliche Autorität, pädagogisches Geschick und Einfühlung in die kindliche Gedanken- und Sprachwelt so schnell zu Erfolgen führen. Inzwischen ist „geil" wieder da, meine Gelassenheit, Dankbarkeit und Geduld sind dafür weg, die Spucke ist geblieben. Geil ist heute offenbar alles, was früher gediegen, gut, wunderbar, schön, himmlisch, traumhaft und wonnig, liebevoll oder zuwendungsreich, faszinierend, toll oder schlicht in Ordnung war. Geil sind einige Pop-Bands und die meisten Fernsehfilme (wenn sie nach 20 Uhr sind), geil sind sehr wenige Lehrer, dafür alle Comics, geil sind Sonnenuntergänge und stille Landschaften, Würstchen und Pommes sowie Taschengelderhöhung- und einige Jungens. Und manchmal bin ich sogar hier und da noch „geil", wenn ich Geschenke anschleppe. Das heißt, Irrtum: Das Geschenk ist dann wohl geil. Ich leide also vor und für mich hin und resigniere angesichts dieser Inflation von Geilheit. Und ziehe meine Augenbrauen hoch. Nein, ich zog sie hoch. Denn „geil" wurde eines Tages abgelöst durch „affengeil". Ich erklärte nochmals, mit schwacher Stimme das solide Volk der Affen verteidigend, indem ich deren gesundes Triebsystem, frei von allen Neurotisierungen, schilderte (die Töchter sind mittlerweile entsprechend gereift). Vergeblich - meine Stimme und ich waren nicht überzeugend genug. „Affengeil" bürgerte sich ebenso etablierend in den Wortschatz ein, wie das Bürgertum selbst etabliert ist. Affengeil war der Komparativ, die Steigerung des bisher und vorab Genannten; vom Jungen bis zum Sonnenuntergang, von EB- bis zu Fühlbarem. T-Shirts kamen hinzu, Moden aller Art, je schreiender in ihren Farben und geringer im Textilaufkommen desto affengeiler. Sogar ich war kürzlich einmal „affengeil", als ich beim Pfänderspiel einbeinig auf dem Klavierhocker ein Osterlied solo singen sollte und dies ebenso tat: Affengeil. Jede Steigerung zieht eine weitere nach sich, dem Komparativ folgte kurz vor Ostern der Superlativ: „Superaffengeil"! Einmal beruhigte mich die Tatsache, daß zumindest das „Super" davor eine ferne Verwandtschaft zum Superlativ zeigte, was Superaffengeil bezweckt, zum anderen bin ich abgebrüht. Denn während ich bei „Geil" früher (welche harmlosen Zeiten!) noch Augenbrauen hochzog, zog ich bei „affengeil' vor Schreck zu Anfang gleichzeitig die Mundwinkel herunter. Nachdem ich mich via Video zufällig mit solchen Gesichtszuckungen erlebt hatte (schließlich ist im Umfeld meiner Töchter vieles „affengeil"), ließ ich die Zuckungen, indem ich Geiles, Affengeiles überhörte, schon um nicht zu häufig von meinen Patienten gefragt zu werden, was ich denn hätte. Ostern - da kam die Wende am Festmontag. Wir hatten Gäste und saßen zu Tisch und ein Gast erzählte etwas Spannendes, was ich aufmerksam - wie immer - kommentieren wollte. Ich tat das, indem ich diesmal „geil!" sagte. Mehr als den Gästen verschlug es den Töchtern die Sprache. Sie liefen leicht an, zogen die Augenbrauen hoch. Dann sagten sie: „Aber Papa!" Ich wiederholte das Experiment gestern, als die Freunde von den Töchtern hier Geburtstag feierten, wo ich allerlei „affengeil" fand. Die Töchter zogen die Mundwinkel herunter und mich beiseite und flehten mich an, zu unterlassen, was ich wie fand. Stimmt: Superaffengeil.

24. April 1990