VVpK
Alexanders Freund Jochen hat ein Problem, das er am allerwenigsten erwartete: Jochen hat derzeit Probleme mit der Jugend. Er! Der die Toleranz gegenüber Jeans mit modischen Zerstörungen in Person ist. Der uns, seine weniger geduldigen Freunde in der Selbsthilfegruppe „Verein der Väter pubertierender Kinder (VVPK)" geduldig an die eigenen Radau-Zeiten mit dem Musiklärm verbreitenden batteriebetriebenen Kofferradio in der Hand erinnert - gegen die die Walkman betriebene Jugend von heute meditativ still wirkt. Ausgerechnet diesem Jochen war der Kragen der Toleranz geplatzt. „Da höre ich um 3 Uhr morgens Wasserrauschen im Bad - was war das?" Jochen sagte es uns, sprudelte es uns heraus, giftete Galle und Zorn: Ein wilder Fremder stand unter seiner, Jochens, Dusche. Jedenfalls ein wildfremder Jüngling, den Jochens Tochter am Vorabend in der Galerie kennengelernt hatte. Jochens Reaktion? Damals in der Nacht nur ein kurzer Gruß an der Duschtür und dafür den Rest der Nacht Diskussion im Elternbett, wo Jochen wohl nur einen Satz immer gestoßen habe: „In meinem Haus wird nicht geduscht um 3 Uhr morgens, sondern geschlafen!" Oder: Da sitzen unbekannte junge Damen plötzlich am Sonntagmorgenfrühstückstisch und pinseln zwischen den vorbestellten, abgezählten und bereits gegessenen Brötchen und Jochens teurem Vitaminstoß-Saft ihre Fingernägel von schwarz nach gelb um. Die Geburtstagsparty seiner ältesten Tochter Uschi gab Jochen nun den Rest. Um Uschi zu erheitern, hatte Jochen das Kinderspiel „Topfschlagen" vorbereitet und sich die Mühe angemessener kleiner Gaben für Jugendliche und junge Erwachsene gemacht. Jochen hatte zwei Stunden Uelzener Geschenkläden abgeklappert und sich mit Make up, Taschenmesserchen, Briefpapier, Deo und durchaus frechen Aufklebern („Playboy- Häschen") ausgerüstet, die er unter den Topf der Gäste seiner Tochter legen wollte. „Und als ihr Freund drankommt", fauchte Jochen erbittert, „da kommt meine älteste Göre und fragt mich, ob sie ein Kondom für ihn darunterlegen dürfe." Jochen schnaubte und stieß verächtlich hinterher: „Als Gag - sagt sie auch noch - ein Kondom als Gag!" Wir, die wir eigentlich alle weniger modern sind als Jochen, beruhigten ihn. Wir erinnerten ihn daran, wie überhaupt sensationell es ist, daß Kinder in dem Alter noch den Geburtstag bei den Eltern im Haus feiern, daß sie überhaupt eine Spieleinladung des Vaters annähmen. Topfschlagen! Mit einem Wort: Wir versuchten im Verein der Väter pubertierender Kinder (VVpk) Jochen davon zu überzeugen, daß er eigentlich sehr dankbar und stolz auf die Beziehung sein könne, die seine Kinder offenbar zu ihrem Elternhaus (noch) hätten...Jochens Problem liegt aber tiefer: Jochen hat zu viel und zu lange seine Fassungslosigkeit, seine Aggressionen, seine Hilflosigkeit in sich reingefressen, sie - noch schlimmer- in besondere Fürsorge und ewiges Verständnis für diese Jugend umzugestalten versucht. Wir anderen hingegen haben uns durchaus aufgeregt, laut und leise, abgrenzend und verständnisarm gegenüber dieser Jugend von heute. Dafür haben wir zwischendurch immer mal Solidarität und Nähe mit diesen Früchtchen von heute geübt. Mit dem Erfolg, daß - z. B. ich - Torsten problemlos sagen kann, was ich für Probleme mit ihm hätte, wenn er morgens um 3 Uhr duscht oder bei der Begrüßung meiner Schwiegermutter sitzen bleibt. Es klappt prima mit dieser Methode. Vorhin hat Torsten mir meine neue computergestützte Wassersportuhr formatieren helfen. Sie macht sich durchaus. Diese Jugend von heute. Wenn man nicht so lange in sich rein frisst wie ich. Verzeihung, ich meine Alexanders Freund Jochen.
23. September 1997