Unpassende Kirche
Leute gibt's!...sagen wir genau dann, wenn wir von jemandem hören, den es eigentlich gar nicht geben dürfte, geben könnte, geben sollte. In dem mecklenburgischen Dorf Bellin wirkte solch Mensch. Den es eigentlich nicht geben dürfte, geben könnte, geben sollte. Bellin ist in Sachen Landschaft ernsthafte Konkurrenz zu unseren Ost-Heidedörfern. Es hat wie Holdenstedt - ein Schloss. Ein Jagdschloss, das ebenso ernsthafte Konkurrenz zum kleineren, dafür älteren Schloss Holdenstedt ist, weil es Imposanz mit herzlicher Bewillkommnung seiner Hausgäste durch die Schlossherrin Angelika Sloman zeigt. Bellin hat weiter eine 800 Jahre alte Kirche, ebenfalls ernsthafte Konkurrenz zu allen unseren gleichaltrigen Feldsteinkirchen der Heide, die früher auch als Trutzburg gegen Leute herhalten mussten, die es nicht geben dürfte, nicht geben könnte, nicht geben sollte...Von dem unmöglichen Menschen in Bellin erfuhr ich durch den Pastor Schröter in Bellin, den ich fragte, ob ich die laut Faltprospekt renovierte Orgel anspielen dürfe. Gerade wirkte jener Pastor Schröter noch offenherzig und freundlich-freudig. Freudig, weil Christine und ich mit zwei anderen Radfahrern die einzigen Gottesdienstinteressierten außer dem Pastor und Küster Rennert und seiner Frau waren. Jetzt aber - nach meiner Frage wegen der Orgel - verhielt er sich verhalten, geradezu zögerlich. Eine Prise gar Misstrauen...Der Pastor erklärte (gleichzeitig ein richtiges Glockenseil und damit die Glocke schwingend) sein merkwürdig umgeschwenktes Verhalten, indem er Küster Rennert bat, er möge mir die Orgel zeigen. Dort würde ich schon sehen...Der Spieler vor mir hatte den Kirchen- und Orgelschlüssel bei seiner ersten Bitte noch ohne Bedenken vertrauensvoll bekommen. Offenbar war der Mensch über 185 m lang und auch sonst breit ausladend, vorne wie deshalb auch hinten. Weshalb sich dieser Mensch wohl zu gequetscht auf der kleinen Bank der Belliner Orgel fühlte. Ihm passte die Kirche nicht. Buchstäblich: Er passte nicht zwischen die Tastatur des Manuals vor und dem barocken Holzgeländer hinter sich. Weil ihm die Kirche nicht passte, machte er sie sich passend. Indem er sich in Krakow bei Bellin eine Motorsäge auslieh, dem vertrauensvollen Küster abermals Kirchen- und Orgelschlüssel abverlangte - und gut 40 cm jenes schweren Barockgeländers hinter sich heraussägte. Jetzt konnte er spielen. Ich durfte wegen meiner passenden Körpergröße - dann doch spielen. Und die Kirche ganz allein nutzen, ausgerüstet mit dem Vertrauen von Pastor und Küster. Wie jener Mensch in Bellin es zunächst - auch war. Den es zwar gibt, aber nicht geben dürfte, geben könnte, geben sollte.
23. August 2005