Abgesang auf einen Stadtdirektor
Zu spät, weil der alte schon weg - und der neue Stadtvater längst da? Im Gegenteil: Abgesänge kommen immer später und haben normalerweise die Aufgabe eines Grußes an Verstorbene. Das ist bei einem Amtswechsel oder Personalkarussell unserer neuen Demokratie- und Verwaltungs-Könige von heute nun aber sehr anders als bei den alten, richtigen Königen. Da hieß es beim Tod des Regierenden: Der König ist tot - es lebe der König. Heute heißt es: Der Stadtdirektor ist weg. Es lebe der Bürgermeister! Unsere gewohnte Zweigleisigkeit. Das hieß den gewählten Bürgermeister für die (politische) Repräsentanz und den (berufenen) Stadtdirektor für die Verwaltung an der Spitze unserer Großgruppe Uelzen zu wissen. Was schon deshalb schwierig sein musste, weil eine Spitze eigentlich und an und für sich ja meist zu eng für zwei ist. Sonst ist sie keine echte Spitze. Der Vorteil jedoch war in der Vergangenheit ein psychologischer: Wir, die Kinder des Gemeinwesens, hatten die Zwei da oben und psychologisch wäre das immer eine Art Elternmodell. Wenn man von der einen Elternseite eine Absage, eine Grenzziehung für etwas erlitt - dann ließ es sich immer noch bei der anderen Seite versuchen. Eine Chance für uns, eine Erschwernis, weil Spaltungsgefahr für die Eltern. Speziell Kommunalspitzen bieten sich für „Elternmodelle" an, weil eine Stadt nach unserer Sprache eine Vater-Stadt ist, mithin also einen Stadtvater hat. Und dazu gehört immer eine Mutter (Sprache). Dieser von uns nach Halle geschiedene Udo Hachmann, unser letzter Stadtdirektor, unser Verwaltungs-Stadtvater was war er nun: War er eher väterlich? Oder mehr ein mütterlicher Mann? So einfach, wie uns das manche Paare machen, geht es hier nicht. Unser letzter Stadtvater (Verwaltung) verhieß zwar teilweise mit seinem Namen den Mann, aber er verkörperte eine Menge weiblicher Anteile, was den Mann erst zum Mann macht. Er stellte das bleibende Zentrum für gleich fünf Bürgermeister dar, war das mütterliche Kontinuum. Außerdem spielte er Klavier und liebte nicht nur Frankreichs Austauschprogramme und Verwaltungsstudiengänge, sondern vor allem den dortigen Esprit, die Poesie, die Künste und die Küche. Letztere so, daß er selbst kochte. Die männlichen Anteile in ihm lebten wohl mehr im Repräsentieren, im Planen, im Rechnen und (verwaltungs-)juristischen Philosophieren und Konfrontieren. Hach - das war ein wirklicher Mann! Wir Demokraten werden wohl solch Vatermutter oder Muttervater in dieser Mixtur nicht mehr bekommen. Schon deshalb, weil es eben oben auf einer Spitze zu eng für zwei ist. Umso mehr bedarf es außer dem Abgesang für den einen der beiden bisherigen Väter auch der auftaktigen Fanfare für den neuen (alten) Bürgermeister im neuen juristischen Gewand. Denn der muss nun Zwei in einem sein. Sie müssen sozusagen Hose und Rock gleichzeitig tragen. Die Bezeichnung „Eingleisiger" ist nur auf den ersten Blick negativ. Denn ein Gleis hat zwei Stränge...Die neue Uelzener Vatermutter-Gestalt bei uns ist auch der Musik verbunden. Das lässt hoffen auf ein Gleisgefährt, das ab und an auch während der Fahrt singt. Und einen Stellvertreter gibt es auch mit den geeigneten ergänzenden Eigenschaften. Nach Halle und Uelzen also: Gute Wünsche für das, was die neuen Eingleisigen (und wir von ihnen) brauchen.
22. April 1997