Ordensträger

Alexander ist - das wissen Sie ja - mein mir nächstwohnender Nachbar und von Beruf Lehrer. Trotzdem hat er einen Orden bekommen. „Trotzdem" meine ich, weil Lehrer im Allgemeinen mit- samt ihren Schülern nicht viel vom Schmuck der Orden in dieser Welt halten. Schon gar nicht vom Tragen. Ja, Lehrerschaft, die mit Jugend umgeht, umgeht eher die Welt der Orden und Ordensträger. Schließlich kriegt man mit einem Orden weder Geld noch einen Job noch einen Lehr- oder Studienplatz. Da aber Alexander nun ein ganz klein bisschen auch ein Konservativer ist, hat er den Orden sogar angenommen, dann aber gleich in eine Erinnerungsvitrine mit alten Sachen weggesteckt, in der die Orden seines Vaters und Großvaters nun moderne Gesellschaft bekamen. Weggesteckt, weil Alexander natürlich nicht auffallen will, geschweige denn sich mit seinem Orden buchstäblich brüsten will, denn ein Orden gehört auf die Brust. Bei hohen Orden geht's sogar an den Hals. Oder, für kleinere Anlässe, gibt's den für den Hals auch als Mini-Ausgabe für die Brust. Eben zum Brüsten. Nun war Alexander, selbst gerade nullendes Geburtstagskind gewesen, auf dem runden Geburtstag eines Freundes eingeladen, der zwar ein guter Arzt aber genauso gern auch (Reserve-) Offizier ist und deshalb Flottillen-Arzt bei der Marine. Während nun bei Alexanders Geburtstagsparty natürlicherweise viel Lehrer und Schüler vergnügt und pausenlos rumtobten, für ihn sangen und Sketche aufführten, sollte der Geburtstag von Alexanders Freund in einem vornehmen Offizier-Kasino stattfinden. Alexanders Herz ist weit, weshalb er ja auch mit Offizieren gut kann, aber ein Offiziers-Casino mit Offizieren darin kannte er noch nicht. Im Gegensatz zu seiner Frau, die unter Soldaten in Lüneburg aufwuchs und deshalb durchaus stolz über den Orden für ihren Lehrermann ist. „Du", fragte Alexander seine Frau vorsichtig, „meinst Du, ich könnte bei Michaels Geburtstag den Orden tragen?" Und hastig fügte er hinzu, „nur den kleinen natürlich." „Aber ja," versicherte Alexanders Frau, der wird sich freuen." Außerdem, dachte Alexanders Frau, dass es ihren zivilen Mann sicherer im Kreis der originalen Offiziere und ihrer Reserve machen könnte. Deshalb fügte sie hinzu: „Wenn nicht da, dann nirgends mehr." Womit sie beide Orden meinte, den Mini wie den großen. Alexander zog seine Liebste, die ihn so gut kannte, an seine Brust und anschließend den Mini-Orden auf die Brust. Und war dann mit ihr auf Michaels Geburtstagsfeier. Die war dann auch genauso, wie Alexander und seine soldatenerprobte Frau es erwartet hatten: Perfekt organisiert, vornehm und eben alles im Stil von hervorragenden soldatischen Persönlichkeiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Trotzdem wurde Alexander eine gewisse Unsicherheit nicht los. Denn er, der progressive Lehrer und politisch Linkskonservative, war der einzige Ordensträger unter all den professionellen Ordensträgern.

22. März 2005