Undank ist...

...der Welt Lohn. Jaja. Schon gut. Uralt. Binsensprüche. Binsensprüche sind oft - vornehmer ausgedrückt - Aussagen der sog. Erfahrungspsychologie. Was mich an Binsensprüchen und Erfahrungspsychologie aus der Alltagslyrik einer Gartenlaube derzeit so enorm ärgert, ist, dass sie so oft richtig sind. Gott sei's geklagt. Heutzutage in noch nie gewesenem Ausmaß. Z. B. „Danke sagen". Meine Cousine Bettina fing im Rahmen des Umbaus der Werte unserer Gesellschaft schon früh an, ihren beiden Söhnen Alexander und Eugen (Feldherrennamen!) einzuschärfen, dass sie nirgendwo Danke" zu sagen brauchten. Sie hätten Rechte. Ansprüche. Auf Zuwendung, Service, Gaben usw. (die AZ berichtete bereits an dieser Stelle, ca. seit 1980). Bettina und ihr weiterer Mütterkreis für moderne Erziehung fanden, dass das Wort „Danke" abhängig mache. Unfrei. Weg damit. Jetzt habe ich ein ganzes Seminar offenbar voller Gören von diesen modernen Mamas wie Bettina. Denn z. B. brauchten gleich dringend etliche junge Leute ein teures Buch, hatten aber kein Geld mehr dafür. Also kauften wir, der Autor des Buches und ich, das Buch zugegeben billiger mit Autorenrabatt ein und schenkten es der Gruppe zum Nikolaustag. Sam Begleitbrief. Nichts. Keine Reaktion. Oder: Dieselbe Gruppe wird vom Unterzeichner in der Kantine zum Mittagessen eingeladen. Samt Dessert. Und Kaffee. Und sorgfältig vorbestellt, wer Fleisch frisst, wer das Gegenteil. Auch nichts. Zunächst dachten meine Kollegen und Kolleginnen und ich, dass z. B. das Buch nicht angekommen sei. Oder das Essen saumäßig geschmeckt habe. Aber das war es nicht: Freundliche Gesichter bestätigten Buch und gutes Speisen und Trinken. Wohlgemerkt freundliche Gesichter. Die Stimmung (vornehmer gesagt: Das Grundklima der Gruppendynamik) war gut. Nein, mein Lieber, sagte Alexander, mein Nachbar, nein. Du verlangst zu viel. Du wirst 60, ein älterer Heideknochen. „Danke" dürfen wir heute nicht mehr erwarten. Denn diese jungen Leute sehen ja, dass die Versandhäuser inzwischen durchaus Wertvolles zusätzlich zur Bestellware mitschicken - als Werbung. Sehen, dass überall „Partien" geliefert werden (im Buchhandel bezahlt man dem Verlag 10 Titel und 2 kommen dazu, je nach Staffel und Verlag, als Werbung. Und zum Essen reißt man sich um die jungen Leute und bettelt sie an, zum Essen zu kommen. Omas, Onkels, Tanten, altgewordene Lehrer. Nein, mein Lieber. Wir müssen uns bedanken, dass es sie gibt. Diese dank-freie Jugend. Denn wir sind es, die für die Geburt eben diese Jugend zu Dank verpflichtet sind. Sie zahlen unsere Renten. Und das ab 2015 nach dem Schlüssel: Zwei Alte auf einen Jungen. Jaja. Schon gut. Uralt. Ich lerne ja schon um. Ich werde mich bei den Jungen bedanken. Dass es sie gibt. Und ihnen dann als stillen Dank die Bücher und Essen bezahlen. Das heißt, ich darf mich nicht bedanken. Denn sie wollen keinen Dank. So behalte ich meinen tiefen Dank für die Jugend für mich. Und trauere den Zeiten nur noch heimlich nach, als Schenken und Danken noch Lustgewinn bedeutete. Aber da waren wir ja auch alle noch abhängig.

22. Februar 2005