Mensch verdufte mich

Heute ist Eckart bei uns zu Besuch. Es gibt mehreres, was Eckart besonders macht. Was jedem Menschen sofort auffällt, wenn er Eckart im Bus, der U- Bahn oder im Supermarkt begegnet: Der Ring im Ohr! Nicht einfach so ein Edelsteinchen oder Freundschaftsstern im Ohr, wie sie manche modebewussten jüngeren Chefärzte inzwischen ebenso tragen, wie Jugendliche im gepflegten Rockerstil. Nein, ein ausgewachsener, richtiger Ring baumelt an Eckarts Ohr und zieht auf magische Weise den Blick auf diese Kopf-Ecke Eckarts. Manche lernen den ganzen Eckart gar nicht richtig kennen vor lauter Gebanntheit durch diesen Ring...Es ist nicht solch ein Zirkus-Ring, wie Wilhelm Busch ihn dem Affen in die Nase zeichnet, um ihn besser in Gefangenschaft führen zu lassen. Eckarts Ring hat die Größe eines Eheringes - weil es sein Ehering ist! Eckart trägt ganz schlicht das Symbol seiner ehelichen Gemeinschaft und Liebe mit (s)einer Frau nicht am Ringfinger (der von uns Gewöhnlichen dafür benutzt wird), sondern er trägt dieses Zeichen spektakulär und unorthodox. Maja, Eckarts Frau, steht dies übrigens, finde ich, auch gut. Denn Maja ist Zauberin von Beruf. Nein wirklich: Maja ist eine bekannte Künstlerin in Sachen Schwarzer Kunst, zaubert in und vor und für Gruppen, gibt Kurse in Zauberei für Kinder und Jugendliche und hat manche gemeinsame Mahlzeit bei uns zu Hause in ein Dauerstaunen verwandelt und die Kinnladen trotz vollen Mundes hängenlassen vor Verblüffung, wenn gewöhnliche Dinge verschwinden wie Salzfässchen oder ungewöhnlichste Dinge auftauchen wie etwa kleine Spielzeugnilpferde...Auch Maja lässt sich - etwas altmodisch betrachtet, gebe ich zu, nämlich vom Paarideal her - gewissermaßen auch als Bereicherung des Besonderen an symbolisiert Eckart stehen durch den Ring im Ohr. Einmal hat sich Eckart um eine wichtige Stelle an einer Hochschule beworben und wurde bei der Bewerbung kaum Fachliches gefragt. Nein, den künftigen Kolleginnen war der Ring zu spanisch beziehungsweise zu wenig deutsch und sie wollten wissen, was dahinter stehe (Eckart bekam die Stelle nicht, was darauf hinweist, daß die Hochschule nicht sehr hoch gewesen sein kann - sollte sie wegen des Ringes im Ohr abgesagt haben). Alles in allem steht der Ring für alle Ecken, die Eckart ausmachen. Obwohl - schließlich ist Eckarts Ring ein gewöhnliches Symbol für eine Rechtsform namens Ehe. Nur die Stelle ist ungewöhnlich- was vielleicht an ,,eckt" und doch mehr mit unseren eigenen Ecken zu tun hat als im „Eck-Art“. Sagte ich schon, daß Eckart Künstler ist? Eckart Bücken ist Liedermacher und viele seiner Lieder werden oft und gerne in Kirchen und ebenso außerhalb von Kirchen gesungen. Nicht umsonst unterschreibt Eckart bestimmte Briefe mit „Eck-Art" und macht dabei seine ganze Kunst (engl.+ art) zur Eck-Art. Am wenigsten besonders an Eckart ist, daß er kürzlich 50 wurde. Besonders an diesem Geburtstag aber war, daß alle Schenkenden zum Schluss der Feier selbst ein Geschenk vom körperlich sehr langen Eckart in die Hand gedrückt bekamen: Eine sehr kurze und kleine Texte- Sammlung von ihm unter dem Titel „Mensch verdufte mich". Wieder so eine An-Eckerei. Da wünsche ich mir heimlich bei manchem: Mensch verdufte... Und Eckart lädt ein - zum Umgekehrten. Ich werde diesem Menschen heute zur Geburtstagsnachfeier Kreis-Uelzener Blumen mit ihrem Duft verehren - bevor er verduftet. Und wieder solch Verse zurücklässt wie diesen hier aus seiner kleinen Sammlung. „Das Wasser von Chemie verdreckt/ schmeckt schaler, immer schaler/die Luft erstickt, und der Planet/wird kahler, immer kahler". Eckarts Haupt wird auch immer kahler - aber durch solche Ecken wie den Ring im Ohr bleibt die Erde noch ganz schön bunt.

20. April 1993