Papst gucken
„Mama ist weg - Papst gucken", sagte Großnichte Ruth am Telefon, als ich ihre Mutter sprechen wollte. Ludwig, ihr Mann bestätigte, dass Freddy, Ruths Mutter, in Rom sei. „Du kennst ja Freddys religiöse Ader und Freude am Katholischen" fügte er hinzu. Etwas Entschuldigendes, Rechtfertigendes schwang da mit. Denn Freddy, meine Cousine, ist eigentlich evangelisch. Ich verstehe Freddy und viele andere durchaus. Traugott Giesen, Pastor in Keitum auf Sylt, zitiert denn auch einen prominenten Katholiken im Gespräch mit einem evangelischen Amtsbruder: „Zugegeben - die besseren Texte (der heiligen Schriften und ihrer Auslegung) habt ihr aber wir Katholiken haben die bessere Inszenierung!" Die Inszenierung, die die beiden meinten, betraf die christlichen Kirchen untereinander. Der erdweit eine Woche lang jede Sekunde dokumentierte Tod eines verehrten Papstes der eine Inszenierung der katholischen Kirche war? Nein, dieser Tod von Johannes Paul II. wurde ein medien- und satellitengestützter Mega-Tod. Dabei kann ihn keiner sterben, einen Mega-Tod. Es starb - wie immer beim Sterben ein einzelner einsamer Mensch, für den ein Tag ein Tag war. Tausend Jahre wie ein Tag" das ist das Bild, das wir Menschen erst einem Gott unterstellen, der auch der oberste Chef eines Papstes ist. Gefeiert wurde aber dieser Tod mit der Grandiosität eines gottähnlicheren Wesens - höher als es sämtliche Gottesgnadentumkönige und Priesterkaiser der Vergangenheit waren. Höher als alle. Vernunft. Der hölzerne Sarg mit dem toten Papst, der im Monitor des Fernsehers noch einmal dem Betrachter entgegen gehalten wurde der scheint mir mehr Ausdruck der persönlichen Bescheidenheit und Demut Johannes Paul II. gewesen zu sein, als die Intendanten ihn inszenierten. Sind wir neidisch, wir Protestanten, wir Evangelische? Ist eine Freddy, Ruths Mutter, die ihrer Tochter aus ökumenischen Gründen einen jüdischen Namen gab, neidisch auf die Katholische Kirche und ihren Papst, diesen Papst? Bestimmt bedauern viele Protestanten den Mangel an greifenden und ergreifenden Ritualen in ihrer Kirche, den Mangel am erhebenden, prächtigen Lob ihres Gottes in entsprechend üppigen sakralen Räumen und spannend, weil mystisch gefüllter Zeit. Andererseits: Wir haben eine partnerschaftliche, frauen-freundliche Kirche, eine mit diskussionsverpflichteten und diskussionsfähigen Menschen, die man nicht nur anfassen kann, sondern soll. Uns Papstlosen wird nicht gesagt, wo genau es wie langzugehen hat, sondern wir werden begleitet dabei, den eigenen Weg zu entdecken. Vielleicht klappt sie ja auch mal mit einem nächsten Papst – die „unam sanctam apostolicam ecclesiam" („eine - nicht zwei- heilige apostolische Kirche"). Was solch neuer Kirchen-Topf beinhalten würde, wäre kein Eintopf. Es wären die allerbesten Ingredienzien verschiedener Suppen und die Freddys dieser Welt brauchten für das ihnen Fehlende nicht mehr nur nach Rom zu fahren, um Papst zu gucken.
19. April 2005