Golf-Bombensplitter in der Heide
„Kopf hoch, das Leben geht weiter!" sagte der Lehrer zu dem Schüler, als der auf die Frage, warum er seit Tagen so gedrückt und bedrückt im Unterricht herumsitze, geantwortet hatte. „Der Krieg eben!" Wir müssen ununterbrochen genau darauf schauen, obwohl wir wegschauen wollen," sagte der Referent in einem Kreis von Menschen, die sich zum Thema Krieg und Frieden versammelt hatten. Wie? Ach so-ja,“ murmelte die Dame im Foyer des Theaters, als sie sich in ein Pausengespräch mischte und hörte, daß es darin gar nicht um die hinreißend vergnügte Aufführung ging, sondern um den Golfkrieg. „Schrecklich, ja, wirklich schrecklich," fügte diese Dame hinzu und ging dann Richtung Toilette. Da machten Schüler einer unserer Schulen einige Interviews auf der Straße am Markttag und hielten Passanten das Mikro hin mit der Frage „Was sagen Sie zum Golfkrieg?" „Ich habe Angst," antwortete eine junge Frau und atmete dabei tief ein. „Und was haben Sie noch?" fragte sie der Interviewer ungeduldig. „Ich trau mich gar nicht mehr, im Kollegenkreis was vom Krieg zu sagen," flüsterte die Praktikantin in einem Kindergarten. „Die wollen in der Pause nichts mehr hören davon." Und nach einer Weile fügte sie hinzu: „Demnächst gehen die auf mich los, wenn ich was vom Golf sage oder frage." „Machen Sie bitte Vorschläge, wie wir unsere Andachten und Gebete für den Frieden am Golf gestalten können," sagte der Pastor nach einem der vielen Friedensgebete in den kleinen Kreis hinein. Ein Mann machte einen: „Ich bitte darum, außer für den Frieden am Golf und für die Seelen der Politiker auch Zeit zum Bitten für meine kaputtgehende Ehe zu finden." Und eine ältere Dame, die sonst nie etwas sagte, fügte sehr schnell hinzu: „Und ich brauche Zeit für meinen suchtkranken Enkel." „Ich bin dafür, daß wir morgen alle Kurse ausfallen lassen," rief eine Schulsprecherin in das Saalmikrofon, „und eine Demonstration machen. Thema: über einen Monat Krieg haben wir, wir haben ihn über!" „Dann haben wir ja schulfrei morgen," freute sich daraufhin ihr jüngerer Bruder zu Hause. „Bombig!" Genau das ist es: Bombig. „Bombig" ist derzeit fast jede dieser Gruppensituationen, und das heißt explosiv und bedrohlich. Zu der eigenen, ganz persönlichen Sorge um den Krieg kommt die Sorge von mir und anderen Menschen, die beruflich in Gruppen leben: Wie mit dieser „bombigen" Stimmung umgehen? Wie die Waagschale ausgewogen halten zwischen dem nötigen Platz für die Ängste und Betroffenheit einerseits und der Notwendigkeit, den Alltag mit seinen Ver- und Abläufen am Laufen zu halten? Eine 78jährige Landwirtin erzählte, wie sie damit umgeht: „Im zweiten Weltkrieg habe ich gelernt: Alles zu seiner Zeit! Den ganzen Tag auf den Krieg schauen, das halte ich nicht aus, denn meine Kräfte gegen den Krieg brauchen auch Erholung, zum Beispiel Erholung in der gewohnten Arbeit. Und den ganzen Tag so tun, als ob nichts wäre, das halte ich auch nicht aus, weil es viel zu sehr anstrengt, so zu tun, als ob nichts wäre. Deshalb versuche ich es so: Ich gehe in den Stall, um zu füttern, in die Küche, um zu kochen und nicht, um dabei mit meinem Schwiegersohn (der hat den Hof und ist Reserveoffizier) über den Krieg zu diskutieren. Das tue ich morgens, mittags und abends nach den Nachrichten. Dann will ich wissen, wie er das einschätzt. In die Andacht gehe ich, um für das Ende des Krieges zu beten- und für das Ertragen der kleinen täglichen Kriege bei uns zu Hause. In die Andacht gehe ich nicht, um politisch informiert zu werden. Und Ilseken das ist meine Enkelin bringe ch zum Kindergarten und hoffe, daß sie dort spielen darf. Und daß nicht Erzieherinnen dort Kriegsbilder zeigen und diskutieren. Und Edith - die ist in der 10.Klasse und demonstriert morgen die würde ich gern begleiten. Aber nicht während ihrer Schulzeit. Alles zu seiner Zeit."
19. Februar 1991