Hundeleben

„Ich habe meine Biche verloren und ihr Tod hat in mir die Erinnerung an den Verlust aller meiner Freunde wieder wachgerufen(...) Ich habe mich geschämt, daß ein Hund meine Seele so stark eingenommen hat..." schreibt Friedrich der Große im Dezember 1751 an seine Schwester in Bayreuth. Der Alte Fritz war weiß Gott nicht sentimental, sondern respektierte Gott nur streckenweise und die Welt überhaupt nicht. Dieser Brief fiel mir jetzt ein, weil sich „Butzemann", Dackel und Seniorchef unseres gesamten Tierlebens, mit über 13 Hundejahren von uns verabschiedete. Wieweit dürfen aufgeklärte Menschen überhaupt einem Tier nachtrauern - ohne in die Nähe von neurotischer Sentimentalität zu geraten? Ist es nicht an Blasphemie grenzend, wenn ich anlässlich eines Hundetodes aus- gerechnet im Monat November über Abschied von Tiergefährten nachsinne - wo derselbe Monat doch dem Abschied von menschlichen Gefährten gewidmet ist? Auch wenn Friedrich der II sich schämt: Ich nicht. Friederike fand Butzemann nach dem Mittag im Teich ertrunken, nach einer letzten Hetzjagd mit Biba, der jungen Freude seines Alters, die sich ein Spiel mit dem Dackelgreis machte. Nicht nur ein langes Hundeleben war zu Ende, sondern ein ungewöhnliches Hundeleben - obwohl das die Frauchen und Herrchen aller Haustiere sagen, die ihrem Hausgenossen nachtrauern. Aber Butzemann führte ein derart ungewöhnliches Leben, das die AZ (nicht ich) einmal sogar mit einer halben Seite über ihn berichten musste! Damals hatte Butzemann mit seinem Vetter Velten im Hösseringer Landwirtschaftsmuseum die mühevoll extra aus Asien importierte Hocharistokratie des dortigen Hühnerstalles nahezu restlos ausgerottet. Butzemanns wichtigere Rolle war die des Gefährten von Dorothea und Friederike und nur Menschen, die diesen Landkreis unseres Erdkreises bewohnen, dürften verstehen, was für eine ebenso stille, wie mächtige und liebevolle Erziehungsinstanz so ein Hund für Kinder ist. Butzemann lag in allen Puppenbetten und Kinderwagen. Er wurde in abgetragene eigene Kleider, T- Shirts und Mützen und in die von Puppen eingezwängt, gefüttert, gestillt, umdoktert, geärgert und durchgehend geliebt. Seine Starrolle jedoch war am Flügel: Bei Marschrhythmen (etwa seinem Lieblingslied („Im Wald und auf der Heide") entwickelte Butzemann eine derartige Leidenschaft, daß er bei ersten Vorspiel-Tönen zum Flügel hetzte und gebannt auf den Einsatz wartete. Dann sang er das Lied mit: Er jaulte, fiepte, schrillte und ziepte - und zwar präzise im Metrum des Liedes und seines Rhythmus: Keine Studenten- und Kollegengruppe, kein Freund der Familie, die nicht gebannt ungläubig auf diesen musikalischen Dackel starrten, der grundsätzlich mehr Applaus erhielt als sein Herrchen und Hausherr. Butzemann fütterte alle meine Kolumnen zum irdisch- ewigen Thema „Postboten-Hunde-Beziehungsstrukturen". Er fütterte die Seelen der ihn umgebenden Menschen, wenn diese traurig oder glücklich waren und umziehen mussten oder wollten. Er zog getreu mit um und zeigte uns, was Vertrauen in die Zukunft ist, wenn wir dies manchmal suchten. Friedrich der Große schloss seinen Brief an die Schwester in Bayreuth: „Ich glaube, ein Mensch, der gegen ein treues Tier gleichgültig ist, wird auch der Dankbarkeit gegen seinesgleichen nicht fähig sein!" Trauern wir also auch um die tierischen Begleiter unseres Lebens. Wir müssen diese ja nicht gleich neben uns beerdigen lassen - wie es dieser einsame, knöcherne, nüchterne, harte und weiche Preußenkönig tat...

18. November 1997