Überlebt..

„Ach was - alles ist Glaube oder Unglaube oder Aberglaube, basta!" sagte Tante Ulrike. Sie ist diejenige bei uns, die die meisten Dinge anders sieht als die meisten von uns. Zum Beispiel Freitage, die auch noch der 13. sind. Wie der, letzte Woche. „Wir haben ihn mal wieder überlebt!" hatte Tante Ulrikes Neffe in Tante Ulrikes Gegenwart leichtsinnigerweise geäußert. Tante Ulrikes permanente Neugier hakte sogleich nach - einmal, weil sie etwas schwerer hört aufgrund ihrer prinzipiellen Ablehnung von Hörgeräten („das ist etwas für welche, die nicht älter werden können und den Unsinn dieser Welt hören wollen!") Zum anderen hakte sie nach, weil sie prinzipiell neugierig ist („Neugier hält jung"). Wer hat was überlebt, wie überlebt, wen überlebt? wollte sie wissen. Schließlich ist Tante Ulrike über 70 und das Thema Überleben ist ihr bei jedem runderen Geburtstag wichtiger geworden. Doch als sie hörte, daß wir vom letzten Freitag, den 13. sprachen, trompetete sie den obigen Satz. Sehr wichtige Sätze schließt sie dann mit „basta". Das heißt, Diskussion ist danach nicht nötig. Deshalb zogen wir uns in eine von Tante Ulrike entferntere Ecke zurück und tauschten die Erinnerungen an das Überleben des letzten Freitags, den 13. November aus. Nicht, daß wir abergläubisch wären bewahre, nein! Aber es wird einem von der Umgebung in Uelzen schwer gemacht, seinen Glauben an den Unsinn vom Freitag, den 13. gegen den Sinn des Aberglaubens zu setzen. Dorothea - sie lernt im Hotelfach - erzählte die uralte Geschichte von den modernsten, aufgeklärten Managern, die in den Hotels derart sorgfältig die Zimmer mit Nr. 13 vermeiden, daß die Nummern weltweit meistens von 12 auf 14 springen. Dasselbe gilt in Kliniken, bei Hausnummern...Da ich glaube, nicht an Aberglauben zu glauben, wollte ich zum letzten Freitag in (einem) Uelzener Reisebüro den Flug nach Linz zu einem Gastvortrag buchen. „Sie sind sicher, daß Sie das wirklich wollen?" fragte mich der hilfsbereite Herr Strampfert zurück, „an einem Freitag, den 13?" Selbst wenn wir den Freitag, 13. ironisieren - es bleibt die Aufmerksamkeit für ihn. Manchmal wird sie zur Fixierung. „Alles Unsinn!" rief Tante Ulrike von der entgegengesetzten Ecke. Sie hört wie viele Schwerhörige, die etwas nicht hören sollen, unerhört gut. „Alles Unsinn - und indem die Leute die „13" krampfhaft vermeiden, denken Sie noch mehr dran!" Tante Ulrike ist übrigens nur eingeheiratet bei uns. Sie kommt vom Jenseits, jenseits der Main-Linie, aus dem Süden. In ihrer Gegend tragen viele kleine Dorfkirchen statt des Wetterhahns auf dem Turm eine Fahne mit einer eingeschmiedeten „13". Als Symbol für die heilige Trinität, der Vater, der Sohn und der Hl. Geist (= 3), die sich in Einem (1) treffen. Es ist wohl mit dem Aberglauben wie mit dem Glauben - es kommt darauf an, wo wir geboren sind. Und weniger auf unsere sehr wacklige Aufgeklärtheit.

17. November 1998