Friederikes Spleen

Friederike hat einen Spleen entwickelt - und der gehört eindeutig unter die Rubrik „gefährlich " Sie zeigt seit Monaten Signale einer bedrohlichen Gewöhnung - und eine solche kann bekanntlich über Abhängigkeit und weiter zur Sucht führen. Sie ist fast schon abhängig vom Fönen. Ganz richtig, sich hat sich gefährlich an den Vorgang des Fönens gewöhnt. Dermaßen bzw. derunmaßen, daß ich sie in letzter Zeit gar nicht mehr im Haus zu suchen brauche. Denn wenn sie da ist - dann brauche ich nur dem Geräusch des Föns nachzugehen. Während sie früher „normal" fönte, das heißt bei nassen Haaren anlässlich Schwimmens oder Duschens, duscht sie heutzutage (vermute ich), um fönen zu können. Großmutter Thea hatte früher vor mehr als dreitäglichem Waschen gewarnt und auch Friederike richtete sich danach. Heutzutage sind die Ahne und Stromkosten vergessen und Friederike fönt - wenn dies so weiter geht - demnächst ohne jedes nasse Härchen. In Unkenntnis der Gefährdung schenkte ich ihr nun zum Geburtstag einen Super-Fön, ein Monstrum, das eher an eine Mehrzweckküchenmaschine erinnert mit seinen diversen Zubehörsets für Dauerwellen, für Röhrenlocken, für Haarmassage und für weitere mit bisher unbekannte „Haarbehandlungsvarianten" (Fachwort auf der Verpackung, mit der der Superfön ankam). Das ganze Gerät habe ich - immer noch ahnungslos in ihre Liege-Ecke mittels Dübeln an die Wand montiert. Seitdem ist sie gefährdert- und fönt. Fönt ohne erkennbare nasse Haare, fönt mit Blick auf ein neues Lieblingsbuch, die Hand in der nebenstehenden Chips-Tüte versenkt. Eine wichtige Frage ist die Hinterfragung: „Wofür mag dieses maßlose Fönen stehen?" (Fönen als Symbol). Da fiel mit des Dichters Manfred Hausmanns Ehefrau Isabell ein, die so gern staubsaugte- nicht weil sie einen Putzvogel hatte (eine schon bedenklich Form von Vögeln, die der Mensch haben kann): Nein, weil sie sich beim Staubsaugergeräusch an bestimmte Naturgeräusche so gern erinnerte. War es das? Hatte die liebe Seele unseres früheren Haushalts, Frau Knaak, vielleicht in Friederikes früher Kindheit oft gestaubsaugt und Friederike erinnert mit dem Fön das Staubsaugen und Frau Knaak und die ganze hoffentlich wenig schädigende Kindheit? Oder hat Christine, Friederikes Mutter, während der Schwangerschaft oft gefönt, vielleicht zeitgleich zum Genuss von Mozart-Klavierkonzerten, die auf Embryos schon (positiv) wirken? Dann würde das Fönen von Friederike erklärt sein. Denn sie umgibt sich damit, sie umhüllt sich lange Zeiten nach der Geburt mit den warmen Fönluft- Wellen wie sie früher mit der Mutter selbst umhüllt wurde. Das wäre eine einleuchtende tiefenpsychologische Erklärung. Wahrscheinlich vermutete Friederike bei meiner ersten Kritik heute sei ich nur neidisch auf das Geburtstagsgeschenk, das ich ihr gemacht und den Genuss, den sie dadurch genieße. Das hat mich tief getroffen. Also stimmts.

17. August 1993