Ski-Freuden für einen Heidjer

Alexander ist ein Schlitzohr. Wobei ich das im Blick auf seine neue Skiausrüstung mit einer Prise Bewunderung meine. Alexanders Frau ist Mitglied einer Gruppe Uelzener, die regelmäßig gemeinsam Ski läuft. Dabei läuft Alexanders Frau ihm dann immer davon. Ich meine auf den Pisten-Abfahrten während der Wintersport-Aufenthalte, auf die Alexander seine Frau begleitet. Während seine Frau ihn, den manchmal trägen Alexander, sonst zu allem möglichen gemeinsamen Neuen motiviert hat (zum Wandern, zur Blumenliebe, zum Schwimmen, zu Kinobesuchen) - macht sie beim Skilaufen das Gegenteil. Sie bestätigt ihm, daß er etwas nicht kann, nicht mehr können sollte. Abfahrtslauf nämlich. Und trennt sich damit von ihm. Warum? Eben, eben. Alexander mißtraut seitdem seiner Frau. Und Skilehrern schon vom Hörensagen her. Was machte er? Er begleitete seine Frau während dieser letzten guten Schneetage via Seilbahn nach oben auf die Alb. Er beließ es nicht mehr beim Langlaufen unten im Tal. Und so fuhr Alexander als grauer Zivilist unter den bunten skimodisch Uniformierten mit und tummelte sich im Treiben der schwerschuhigen, in gewisser Weise ritterlich armiert wirkenden Abfahrtsläufer - ohne Ski. Dafür in der Nähe seiner Frau, die er aus der Ferne in ihrer Gruppe bewundern - kontrollieren konnte. Außerdem war er zum Mittag und Kaffee mit ihr verabredet, während die anderen Uelzener als Verein im Verein speisten, sonnten und Cafe Crème tranken, abfuhren, mit dem Lift hochfuhren, sich sonnten, wieder Cafe Crème tranken, sich sonnten, abfuhren, mit dem Lift hochfuhren, abfuhren. Nun fuhr Alexander ohne Ski mit der übrigen Menschheit, die nur aus Skifans zu bestehen schien, gemeinsam hoch zum Gletscher und sterneneinsam allein mit dem Lift wieder talabwärts und winkte seinem unter dem Lift hinabsausenden Weib auf der Piste zu. Hier auf diesem ständigen Hoch und Runter, Auf und Ab des Liftes und in dieser Riesenschlange unten in der Talstation, die wieder nach oben drängte, wurde Alexander zum Sammler: Zunächst entdeckte er unten einen grünen Skihandschuh, den der Finder auf das Geländer neben dem Lift gelegt hatte, wo auch eine Sonnenbrille lag. Später hing oben an der Talstation auf einem Gerüst der weiße Pullover. Als beide Teile nachmittags immer noch da hingen, unten aber zwischenzeitlich ein lila Halstuch dazugekommen war, begann Alexander die Dinge einzusammeln und mitzunehmen in das Hotel. Am nächsten Tag sammelte er nicht mehr nur, sondern litt unter Sammelfieber: Aleaxander ging am Nachmittag, als nur noch die letzten Ehrgeizlinge abfuhren, unerlaubterweise zu Fuß eine Piste ab, die er vom Lift aus gut überblickt hatte. Das heißt er rutschte und schlidderte mehr, als daß er ging. Aber er sammelte auf diesem Nachhauserutsch einen nagelneuen Ski-Helm auf, zwei Sonnenbrillen und einem Stock. Ich raffe die Zeit: Nach einer Woche besaß er gar einen einzelnen Ski, fünf Handschuhe, drei Stöcke, vier Sonnenbrillen- und das triumphale Bewusstsein, die Piste zu beherrschen. Wenn er noch eine Woche drangehängt hätte - schwärmte Alexander wieder zu Hause in Uelzen von seinen Skiferien, er hätte noch die Farben seiner ungewöhnlichen Skiausrüstung besser abstimmen können. Die lila Mütze passte zwar zum Halstuch, aber nicht zum Handschuhpaar in Rot. Und die Stöcke waren zu verschieden lang. Alexander wird nie laufen mit den Dingen seines Skiausrüstungs-Ladens. Und nicht nur deshalb, weil ihm der Skianzug selbst noch fehlte. Obwohl dieser, meinte er, eigentlich leicht zu ergattern gewesen wäre: In den Toiletten der Alb-Restaurants hätte er nur zugreifen müssen, weil sich dort einige der schwitzenden Spitzenläufer erst einmal auszogen, um in Strumpfhosen und Pulli Mittag zu essen. Aber Klauen wollte er nicht. Nur Gefundenes mitgehen lassen. Meine Meinung über die Schlitzohrigkeit vom Alexander hat sich geändert: Er hat vielmehr seine Eifersucht auf Skilehrer und Mitläufer durcharbeiten können durch diese besondere Art von Arbeitstherapie.

17. März 1992