Eine Sperre für die Tauben
Ob er wusste, worunter sein Name am 8. Oktober stand? In dieser Zeitung - also öffentlich? Und dann noch unter „amtlich“? Sein Name stand diesmal nicht unter einer der Sperrungen, die mit Manövern zu tun haben oder Tollwut. Nein, unser Oberkreisdirektor sprach eine Sperrung aus - für Tauben. In frühen Zeiten würde unser Oberkreisdirektor denjenigen mit Sperrung, ja, Einsperrung gedroht haben, die eben diese Piepmätze namens Taube sperren oder einsperren. Was dem Inder die Kuh als heiliges Tier, das war uns lange, lange Zeit und lange her die Taube. Nun gehört es zu hohen Ämtern, auch Unangenehmes, z. B. Sperrungen auszusprechen. Unser OKD hat - diesen Teil seiner Rolle betreffend - oft mein Mitleid. Nicht umsonst heißen solche Rollenteile ja Rollenzwänge. Aber diesmal - diesmal riskiert unser OKD viel. Taubensperre...? Die Taube ist schließlich - nicht nur in der Urkirche das Symbol des Friedens auch zahlreiche Transparente gegenwärtiger Demonstrationen unseres Kreises - nein, nicht unseres oder unseres OKD's Landkreises, meine ich, sondern den Kulturkreis schlechthin. Und inmitten dieses Kreises, der sich mühevoll das Prädikat „Kultur" erstritt, erlitt, erkämpfte - da wird ausgerechnet den heiligen Vögeln eine Sperre erteilt! „Tauben, die während der Sperrzeit auf bestellten Feldern oder in Gärten angetroffen werden, darf sich der Eigentümer oder der Nutzungsberechtigte (...) „aneignen" (unter)schreibt unser OKD. Auch das noch! Nicht nur „Sperre" - sondern auch noch vogelfrei erklärt er die armen Symbole des Heiligen. Hat er nicht bedacht, unser OKD, daß er damit Märtyrer schafft? Immer eine gefährliche Sache sowas. Das geht nicht gut, wenn jeder auf seinem Acker oder Tomatenbeet Jagd auf heilige Symbole machen darf. Überhaupt: Wie glaubt dieser doch wirklich kluge Leiter unseres engeren Kulturkreises, den Tauben ihr Sperrgebiet klarmachen zu können? Wenn schon Taubensperre, Taubenjagd müsste sich die amtliche Äußerung gleich an die Besitzer der Acker und Gärten wenden, doch nicht an Tauben, die die jahrtausendealte magische Sprache heiliger Symbole sprechen- aber nicht die AZ lesen. Geschweige „Amtliche Bekanntmachungen". Aber - weist sein eigener Name Dr. Elster - nicht auf diese gänzlich andere Absicht der Taubensperre hin? Sozusagen Vögel unter sich? Will die Elster, pardon, will der Dr. Elster möglichst rasch und sicher an möglichst viele Tauben legal rankommen, um sich einen Gürtel von Friedenssymbolen und Marie-Anna-Göttinnen zu sichern? Und damit das auf ihn bezogene wirklich ungerechte Image der diebischen Elster öffentlich auszugleichen? Schließlich schreibt Dr. Elster Tauben- „Aneignung" aus, kein Abmurksen. Das wird es sein. Er schreibt ja auch, daß die, die „Tauben antreffen" sich diese aneignen dürfen. Wahrscheinlich ist er es, der als erster Tauben bei sich antrifft, sie einlädt und schützt. Ich sehe sie förmlich, unseren jugendlichen, jungenhaften OKD auf seinem heimischen Felde, Tauben antreffend und sie sich aneignend. Ein gutes Vorbild: Friedenssymbole in das Haus zu holen. Das ist es, was er meinte.
16. Oktober 1990