Im Namen der Rose von Holdenstedt

Die Empore in Holdenstedts Patronatskirche ist geeignet für Kontaktanbahnungen in Sekundenschnelle, für die Eheinstitute oder psychologische Trainings Stunden, Tage, Monate brauchen und manche Menschen ihr Leben lang. Das hängt - wie so oft bei Fragen der Kontaktanbahnung - mit einer Rose zusammen. Die letzte erfolgreiche Kontaktgestaltung mittels dieser Rose gelang kürzlich zwischen Frau Michalik und Dr. Manke. Was sie eigentlich hätte miteinander verbinden sollen, war die Musik, die von dieser Empore in einem Gottesdienst gespielt werden sollte. Die Musik aber als Kommunikationsmittel war langsamer, die Rose schneller. Das Besondere an dieser Rose, die den Kontakt zwischen diesen beiden anbahnen sollte, ist, daß sie aus Holz ist. Groß wie ein mittlerer Kürbis ragt diese Holzrose seit Jahrhunderten aus der wertvollen Holzdecke der Holdenstedter Kirche und sie ragt nicht allein: In der ganzen Länge wird das Kirchenschiff gesäumt von diesen Rosen seitlich der gewölbten Holzdecke, und daß diese Rosen die Decke säumen, hängt damit zusammen, daß die Rose aus dem Wappen derer von Alvensleben stammt, die es zeitweilig mit den von der Wenses hatten, den eigentlichen Patronatsherren auf Holdenstedt, welche wiederum ihr Geschlecht mit der Weintraube im Wappen symbolisierten und in die Mitte der Holzdecke schnitzen ließen. Alvensleben'sche Rosen bilden quasi den lokalpatriotischen Rosenkranz zur Weinrebe derer von der Wense, und das ist ein schönes Symbol für die gelungene Kontaktanbahnung in Vorzeiten zwischen diesen beiden Familien. Hingegen diese einzelne Holzrose auf der Empore, die schafft Kontakt bis heute. Seit Jahrhunderten. In Blitzesschnelle. Sie hängt nämlich so störend, daß sich grundsätzlich jeder, der über 1,35 m groß ist, seinen Schädel daran stößt. Und mit unvermeidlicher Sicherheit eben die, die an die Empore treten, um Töne von da oben nach da unten zu blasen, wie das Dr. Manke wollte, begleitet von Frau Michalik an der Orgel. „Passen Sie auf, daß Sie sich nicht stoßen," sagte die Dame fürsorglich vorsorglich. Und was macht der höfliche Herr? Er bedankt sich artig und donnert trotzdem gleich darauf mit dem Schädel an die Rose. „Au!" sagt der eine, die Disziplinierten verkneifen sich das, aber allen tut's weh. Manchmal ganz schön. Was macht die Dame? Sie tröstet, und der Getröstete dankt und freut sich. So, wie das diesmal geschah - das fürsorgliche Warnen, das Danken, das Trösten - geschieht es nun seit Jahrhunderten. All denen, die von da oben singen, spielen und sich blaue Flecken holen. „Absägen," schlug der Mann vor, der praktisch denkt. Aber nein, sagt der Denkmalschutz! Eine jahrhundertealte Alvensleben'sche Rose absägen? Niemals! Und auch ich bin dagegen: Diese Rose hat bereits so viel ausgelöst an Kontakten, weil sie gerade wegen ihres störenden Ortes Ungewöhnliches auslöst, über das sich eher der Einstieg in Unterhaltung finden lässt. Nein, die Alvensleben'sche Rose muss bleiben. Sie wird noch-so Gott will - Generationen Kontaktanbahnungen erleichtern, indem der eine der anderen oder der andere der einen, der Junge der Alten, der Alte der Jungen Fürsorge und Schmerz zeigen kann. Und das alte Thema behandeln kann vom Entfernen, vom Absägen. Indem wir uns darüber miteinander in Verbindung setzen, verbindet uns diese alte Holzrose. Besser als das Wetterthema die Engländer und besser als die lebendige Rose des Gärtners.

16. Januar 1990