Begegnung mit einem Berühmten
Friederike aus Lüneburg erzählte mir eine Geschichte, die von der amerikanischen Freundin einer Tante handelt. Diese Freundin der Tante begegnete nämlich kürzlich einer Berühmtheit, einer, die weltweit berühmt ist. Begegnungen von uns Nichtberühmten mit solch Weltberühmten sind immer ein spannendes Thema. Bei dem Mann, der an diesem wunderschönen Sonnentag im Sessel-Lift neben der Freundin der Tante saß, schien zunächst alles normal. Er hatte schon neben der Freundin unten in der Warteschlange bei der Talstation gestanden und erwies sich schlicht als freundlicher, sympathischer männlicher Zeitgenosse, so bescheiden und attraktiv eben wie Männer wie Du und ich. Der Frühling tat sein Übriges dazu. Denn da Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, liegt dort auch Schnee zum Ski laufen im Mai. Eine halbe Stunde dauerte die Auffahrt in Amerika ist eben alles größer, länger, höher - und der Mann behielt zwar seine pechschwarze Riesensonnenbrille auf, aber er nahm gleichsam als Akt der Höflichkeit und Vorstellung den Helm ab und fragte, wiederum besonders sympathisch zurückhaltend, ja geradezu schüchtern, ob er die Dame nach dem Namen fragen dürfe. Er durfte und hörte ihren Namen. Daraufhin setzte der Mann seinen sympathischen small talk fort, vergaß aber seinen Namen zu nennen. Nach einer Weile fragte sie ihn deshalb von sich aus danach. An dieser Stelle muss die Information eingeschoben werden, daß manche amerikanischen Sessel-Lifte keinen Sicherungsbügel haben. Die beiden saßen also sozusagen wie auf einem Küchenstuhl - nichts vor sich, nur den Boden weiter unten. Amerika ist eben weiter, offener und riskanter. Rund zehn Meter war der Boden an dieser Stelle entfernt, als der Mann seinen Namen sagte. Wie halt ein Mensch seinen Namen sagt. Der Mann sagte: „Ich bin Robert Redford." Die Geschichte wird hier dramatisch: Die aufmerksame Frau schaute ihn nur eine Sekunde an und entschied sich dann, nicht laut oder leise zu lachen über den Witz. Denn es war Robert Redford. In Person. Er nahm sogar noch seine Sonnenbrille ab, aber das wäre nicht nötig gewesen. Schlagartig wurde der Freundin in diesem Moment klar, daß sie die ganze Zeit das unbestimmte Gefühl gehabt hatte, diese Stimme, diese Gestik zu kennen. Schlagartig in diesem selben Moment auch wirkte sich der Schreck aus: Die Freundin der Tante rutschte von diesem offenen Skilift und wurde eine halbe Stunde später mit zwei Brüchen in eine nahe Klinik geflogen. Robert Redford war zwar nicht hinterhergesprungen, aber er hatte hinterhergebrüllt, daß er für Hilfe sorgen wolle. Außerdem hat Robert Redford diese Freundin der Tante die ersten Tage in der Klinik besucht. Richtig mit Blumenstrauß am Bettrand und so. Er, dieser weltweite Traum von einem Mann - jedenfalls für Frauen, wie mir Cousine Friederike versicherte. Jeder reagiert anders auf solche Geschichten mit Berühmten. Ich, indem ich den Berühmten, den ich bisher nicht kannte, seitdem aber mag: Einfach Blumen bringen zu dieser Frau - ohne Reporter vorher zu verständigen! Andere reagieren anders auf Friederikes Geschichte. Zum Beispiel hat einer schroff gesagt: „Na und ich hatte ständig mit berühmten Schauspielern zu tun. Ganz normale Leute..." (der Mensch hatte wirklich früher im Theaterbetrieb gearbeitet. Als Intendant eines Kellertheaters). Freuen wir uns, daß wir sie haben, unsere Berühmten. Es ist eine Selbsterfahrung, wenn wir plötzlich im Urlaubshotel das Zimmer neben einer Bundesministerin haben, die sich von unserer Großmutti eigentlich nur durch die zwei Männer unterscheidet, die sie ständig verfolgen. Mit der Berufsbezeichnung Leib-Wächter. Freuen wir uns, wenn wir plötzlich im Kaufhaus dem Landesbischof in der Sportabteilung begegnen, weil er auch übers Wochenende Ski laufen wird. Man muss sich ja nicht immer gleich was brechen vor Schreck. Sondern nachdenken darüber, was das in mir auslöst - so eine Begegnung mit jemandem, der man unbedingt auch mal sein wollte, Oder unbedingt nicht sein will.
15. Mai 1990