Jeremia Kap. 9 Vers 31 und die Bahn AG

Matthias hat jetzt sein Examen in Hannover gemacht. Matthias hielt den Berufen seiner Ahnen die Treue und wird Pastor. Das heißt, er will es werden, denn obwohl Theologie ein vergleichsweise himmlisches Fach ist, zeigt sich das Fach hienieden in die üblichen und üblen irdischen Zwänge gepresst. So will Matthias Pastor werden, aber er kann es noch lange nicht. Mangels Stellen. Außerdem wurde Matthias geprüft, wie man halt so geprüft wird - mit guten oder mäßigen oder gar schlechten Ergebnissen. Wie sehr Gott gerade seinen Dienern jede Menge Eigenverantwortung zuschiebt, wurde Matthias klar, als er vor der Prüfungskommission nach einer bestimmten Stelle im Buch des Propheten Jeremia gefragt wurde. Jeremia im Alten Testament das ist der Leckerbissen von Matthias gewesen, sein Neigungsfach, seine Spezialisierung. Also antwortete er wie aus der Pistole geschossen: „Jeremia 9 Vers 31!" Bei Matthias ging es jetzt um schlicht anständig Gelerntes, nicht um beständige Prophezeiungen wie bei Jeremia. Und so war die Antwort nicht nur wie aus der Pistole geschossen (sowieso daneben in einem theologischen Kontext), sondern ganz daneben: Das weise Kapitel 9 des Weisen aus dem Alten Testament hat nämlich nur 25 Verse, nicht 31. Noch während der weiter gehenden Prüfung forschte Matthias nach, wie es zu der falschen Zahl kam und es kam ihm auch: Auf der Hinfahrt nach Hannover zur Prüfung nutzte Matthias den IC. Da es derzeit irdisch saukalt und sich das Fahrkarten-Ticket schlecht mit Fausthandschuhen halten lässt, hatte er die Waggon-Nummer mit der Platzreservierung (gerade vor Prüfungen soll man es sich komfortabel machen!) - auswendig gelernt. Und 31 war seine Platznummer. Nun kann man hadern, ob die falsche Antwort an der Kälte lag. Ober ob Matthias schneller eine Stelle für sein Vikariat fände, wenn er diesen Prüfungsteil ohne diesen Fehler bestanden hätte... Wichtiger erscheint mir, daß es psychologisch wie auch christlich keine Zufälle gibt. Und Matthias ausgerechnet mit seiner „31" über die Realität der Kapitelbegrenzung hinaus antwortete. Durchaus also das Merkmal eines Propheten. Und außerdem unzufällig ist, was nun den eigentlichen Schluss von Jeremia Kap. darstellt. Da steht nämlich: „So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit...". Wenn das nicht Sinn macht fürs ganze (Theologen-Leben). Ohne Gott oder einer hannoverschen Kommission hineinreden zu wollen: Es traf den Falschen! Denn Matthias ist die Bescheidenheit selbst. Weswegen er auch jetzt nach bestandenem Examen in seinem Beruf, in dem er wegen des himmlischen Arbeitsmarktes auf Erden noch nicht arbeiten darf, unterbricht. Und fremdgeht. Matthias verdient jetzt die nötigen Brötchen mit seinem autodidaktisch erworbenen Computerwissen. Bis der himmlische Vater bei ihm „Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt..." (Jeremia Kap. 9 Vers 23).

14. Januar 1997