OP mit Adventsliedern

Ausgerechnet jetzt in der Adventszeit kriegte Katalin den OP- Termin für ihr Knie, das zunehmend schmerzte und dies Weihnachten nicht mehr sollte. Katalin ist eine Kollegin von mir, die sich auch mit der Wirkung von Musik bei Operationen beschäftigt. Heilsam natürlich. Daher fragte Katalin ihren Operateur, ob sie - bitte schön - aufgrund der neuen Forschung Musik während der OP am Knie hören könne, denn das Knie sollte lokal betäubt werden bzw. Katalin von der Hüfte abwärts. Katalins Chirurg zeigte sich interessiert und fragte nach, da er in Sachen Musik und OP" zwar völlig ungebildet, dafür aber sehr neugierig war, was selten ist und Unbildung dann völlig ausgleicht. Katalin erzählte ihm und zählte auf: Etwa Trance durch Musik, vegetative Änderungen im Körper und seiner Körperchemie, anxiolytische (angstvermindernde) Auswirkung auf die Psyche und so weiter...hat. Besonders beeindruckt zeigte sich Katalins Chirurg von Studien, die auswiesen, dass diese sogenannte Musikmedizin viel weniger Anästhesie-Chemie braucht, die bekanntlich lange nach der OP im Körper verbleibt (bei einer Volllnarkose ist das schädliche Zeug erst sechs Monate später völlig ausgeschwemmt). So lag Katalin nun im OP: Ihr Walkman mit speziell für sie von ihrem Mann Karol überspielten ,,trophotropen" Musik. Das ist Musik, die u. a. die vier „L"'s ausweist: Lieblingsmusik, langsam, leise, legato. Der adventlichen Zeit und ihrem Wunsch entsprechend waren gespeichert die langsamsten Liedabläufe mit Wiegecharakter. Der erste CD-Track war denn auch Katalins geliebtes Siciliano in c-Moll. Ein Wiegenlied für Flöte. Danach sollte eines mit ruhiger Wellenbewegung kommen: „Es kommt ein Schiff geladen..." Der Walkman war an Katalin mit Gummis um den Hals und an einer Schulter befestigt, damit er nicht rutschte. Bedienen konnte Katalin nur mit einer Hand, weil die andere mitsamt Arm ausgestreckt am Tropf hing. Kann's langsam losgehen", fragte der Chirurg und Katalin nickte. Mit der freien Hand drückte sie den Startknopf, legte sich gleich entspannter zurück als andere Patienten - wie der Anästhesist interessiert vermerkte - und zeigte bei Bachs Siciliano erste Anzeichen einer Trance (Verschwinden des Schluckreflexes u. a.). Und es traten noch mehr Anzeichen einer „musikalischen Anästhesie" auf, als die ersten chirurgischen Werkzeuge am Knie hämmerten, sägten, sich die Brrrr's und Sss's abwechselten. Katalin hörte dank des sehr guten Kopfhörers kaum was von der Schlachterei. Was keiner mitkriegte bei dieser OP, hörte aber Katalin. Sie hörte ihr geliebtes Siciliano etwas über 80 Male. Weil sie mit der einen Hand nicht nur Start, sondern auch gleich die Wiederholungstaste gedrückt hatte. Und die in ihrem Dösen nicht mehr fand. Lange Zeit, lange, lange Zeit will sie ihr Siciliano jetzt nicht mehr hören, geschweige Heiligabend selbst spielen. Obwohl es ihr sehr geholfen hat.

13. Dezember 2005