Von SprachkämpferInnen und anderen Innen

Im Anfang (meines kindlichen Hörens vor 40 Jahren) war das Wort- von den „lieben Brüdern". Wenn man(n) unter einer Kanzel saß. Und ebenso ausschließlich männlich waren die „Sehr geehrten Herren", mit denen der Brief vom Finanzamt ebenso begann wie der von der Getränkefirma. Die Vorlesung in Chirurgie begann mit „Meine Herren" und Parlamentsdebatten auch. Die Frauen fehlten. War eine da oder gar einige dann hieß es „Meine Damen und Herren" (im weltlichen Umgang) und liebe Brüder und Schwestern" (im kirchlichen Umgang, welcher mit der Nachsetzung der Schwestern die Vor-Macht der Männer ein klein bisschen länger auskostete und mit dieser Form des Umgangs den Frauenvormarsch um-ging)...Dann kamen die „Klammer-Jahre" bei Ansprachen, Anreden und Anschreiben: „Sehr geehrte Herren (Damen)" und „An Herrn (Frau)..." Das ging nicht lange, schon gar nicht gut. Es war die letzte Zeit, in der die Männer die Frauen einklammerten. Die in der männlichen Sprache der Jahrhunderte derart eingeklammerten Frauen umklammerten sich gegenseitig und wurden so zur Gruppe (auch) sprachveränderter Kämpfer, pardon: Kämpferinnen und befreiten sich von der Klammer männerorientierter Sprache. Zunächst gelang aber nur dieses: Die Befreiung von der Klammer (), nicht die Befreiung von der Be-Herr-schung der Sprache durch die Herren. Es folgte nämlich der Klammerzeit die Schrägstrich-Zeit. In den Stellenausschreibungen stand statt „Reisesekretär(in)" oder „Pastor(in)" oder „Lehrer(in)" nun Lehrer/in, Pastor/in, Inspektor/in, Direktor/in. Doch welche Zeit ist schon erfolgreich, die auf Schräge sich gründet, in diesem Fall auf Schräg-Strichen. Vor rund fünf Jahren nun hörte mein Ohr und las mein inzwischen erwachsenes (und männliches) Auge den Durchbruch der Frauen in der Sprache: Den „Innen" gehörte Gegenwart und Zukunft: MinisterInnen, VerkäuferInnen, ProfessorInnen, StaatssekretärInnen, ArchitektInnen brachen durch. Und das mit so kleinem Aufwand: Der Großschreibung des kleinen i! Nur Angestellte und Abgeordnete - die waren immer schon geschlechtlos bzw. geschlechterübergreifend, weil sowohl das „die" als auch das „der" davor passte. Und doch es zeigen sich jetzt Nachteile des Innen. Zum einen liest mein ästhetisch verwöhntes Auge diese neue Form bei RichterInnen und TurnerInnen mit dem Gefühl, daß da zwei verschiedene Teile mit Sprach-Uhu krampfhaft geleimt wurden. Zum anderen spaltet das große I die Ganzheitlichkeit der Wörter und gibt mir das Gefühl von sprachlicher Schizophrenie, die auf TeufelInnen hinaus verdeckt werden muss. Kurz: Mir ist die höfliche Umständlichkeit lieber und natürlicher, indem ich mich weiter dem Umstand unterziehe von Ärzten und Ärztinnen, Pastoren und Pastorinnen und Verkäufern und Verkäuferinnen zu sprechen bzw. - die weibliche Form voranzustellen - weil ich ein Mann bin. Das habe ich von denjenigen Frauen gelernt, die ihrerseits beim Ansprechen einer Gruppe die Herren voranstellen. Ich mag diesen Umstand des Umgangs miteinander, weil ich nicht nur den kleinen Unterschied zwischen Mann und Frau, sondern überhaupt einige Unterschiede zwischen uns liebe und nicht missen möchte. Doch manche sehen das anders. Luise Pusch schrieb ihr Buch „Alle Menschen werden Schwestern", und diese Zukunft hat nun sprachlich in Hamburg schon begonnen. Dort wird nun auch auf die letzte Männerorientierung, das große „I" verzichtet. Zugegeben - ich leide auch unter dem „I" beim Lesen (siehe oben) und noch mehr beim Hören: Immer diese akustische Pause vor dem „I" und nach der der Männerform: Ich würde - wäre ich Mann eine Frau - mir verbitten, daß ständig vor meiner Nennung pausiert würde. Aber das ist es nicht. Die Hamburger Fachhochschule bzw. ihre ProfessorInnen und StudentInnen gehen weiter. In die Zukunft. Und da heißt es (im Verlesungsverzeichnis): An dieser Hochschule wird nur noch die weibliche Form „Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin" geführt. Sie steht für die männliche Form mit. Ich verstehe, daß nach Tausenden von Jahren, in denen Frauen nur männliche Formen hören mussten und sich bestenfalls mitdenken können mussten, nun wir Männer diese bittere Erfahrung machen sollen, nur mitgedacht zu werden. Aber ich finde es schade, weil es neuen Schaden geben wird: In Tausenden von Jahren nämlich werden wir verschwundenen Männer uns gegen diese Ausblendung aus der Sprache und der Welt, die sie beschreibt, wieder wehren müssen. So wie die feministischen SprachkämpferInnen von heute. So tritt für mich an die Stelle des Gemeinsamen das Gemeine: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Beziehungsweise Unterdrückung gegen Unterdrückung. Gott behüte uns, Männer. Apropos Gott - diesem das „Herr" davor zu nehmen, weil Gott sicherlich auch Frau ist das leuchtet mir sehr ein. Aber deshalb demnächst „Frau Gott behüte uns, Männer" zu wünschen? Nur die Frau machts auch nicht (besser).

13. März 1990