Bildungslücke
„Morgen ist Valentinstag", murmelte Alexander, als wir einen Besprechungstermin für morgen, Mittwoch den 14. Februar im Kalender suchten, „weißt Du, was das eigentlich ist?" Mir dämmerten Geschäftsanzeigen der Blumengeschäfte von vergangenen Jahren - aber mehr nicht. Ich versprach, Alexanders Bildung aufzuhelfen, wenn ich meiner aufgeholfen hätte. In solchen Fällen vertraue ich, wenn schon nicht meiner eigenen geistigen Potenz, der meiner Lexika und Nachschlagebücher. Das Erinnern der Anzeigen unserer Gärtner war mir zu wenig, um damit zu brillieren. „Männlicher Vorname" stand unter „Valentin" in einem „dem Schulgebrauch und amtlichen Richtlinien entsprechenden" Schinken. Das war mir auch zu wenig. Ich rief die Firma an, die mir das Grundstück so schön bepflanzt hatte. „Valentinstag?" fragte die Chefin gedehnt und die Dehnung erinnerte mich an mich, wenn ich die Fragen meiner Pauker erst einmal wiederholt hatte, um die Zeit zu gewinnen, „Valentinstag?" Und dann sagte die Chefin ganz ehrlich, da sie von ihrem Mann, dem Chef auch nur wüsste, daß den Valentinstag die Floristen erfunden hätten, um im Winter eine Gelegenheit mehr zum Umsatz zu haben. Ich führte diese Antwort darauf zurück, daß die Firma Landschaftsgärtnerei betrieb und keine Gärtnerei und dankte für die Ehrlichkeit. Dann rief ich jene Gärtnerei an, die mir meine Fleurop-Sträuße vor 20 Jahren an Christine zwecks Werbung und seit 20 Jahren zu Muttertagen an Muttertagen an Mütter und Schwiegermütter und pensionierte Kollegen besorgt hatte. „Valentinstag- oh, haben Sie es nicht einfacher?" fragte die dortige Chefin zurück und stand in Sachen Ehrlichkeit in nichts hinter ihrer Kollegin vom ersten Anruf zurück. „Keine Ahnung - das wirft ein schlechtes Licht auf unser Gewerbe, nicht?" Ich widersprach heftig, weil ich diese Floristin sehr mag und tröstete damit, daß ich auch nicht wüsste, was und woher der Valentinstag für Blumenumsatz käme und das auch gerne wüsste. Aber der Trost war ein schwacher, denn ich bin ja nicht Florist, der glaubt, das wissen zu müssen. Ich telefonierte noch zwei weitere Male und lernte liebenswerte Floristinnen kennen aber nichts über den Valentinstag. Bis auf die Chefin einer alten Firma, die aber jung ist und so heißt. Die war firm, wie es sich für die Firma gehörte. „Valentinstag? - Ja!" begann sie. „Valentin ist Schutzpatron der Liebenden und der 14. Februar ist sein Gedenktag. Früher schenkten sich Liebende daher ein Zeichen ihrer Zuwendung, heute ist das allgemein gültig für Freundschaften überhaupt“ und - darauf legte die Stimme am Telefon offenhörbar Gewicht, „nicht üppig, sondern meist einzelne Blumen frühlingshafter Art." Das gefiel mir, und ich bestellte gleich lauter einzelne Tulpen - für zwei Kollegen, die ihren Grippe-Virus im Bett pflegen, für meine Töchter, für mein Weib und für meinen Steuerberater sowie den Anwalt der Familie. Zuwendung soll gezeigt werden am morgigen Tag, ganz allgemein Zuneigung und dies nicht üppig, sondern karg und daher viel bedeutsamer. Und viel billiger als bei sonstigen Anlässen. Was ich Frau Jung nicht sagte, ist die andere Seite dieser Medaille vom Valentin. Er ist mitnichten nur Patron der Liebenden, sondern als Heiliger Mann, dessen morgen gedacht werden kann, für viel mehr zuständig: Als Märtyrer wurde er im Mittelalter als Patron gegen Gicht und Fallsucht um Hilfe angerufen. Die Mythologie des Jacob Grimm sucht Valentin gar nicht unter Heiligen, sondern als Name für Pferde, der möglicherweise mit dem italienischen Vegliantino zusammenhängt. Gicht, Fallsucht, Pferde und Liebende? Nun - Heilige haben Übung darin, daß ihnen ganz Verschiedenes untergejubelt wird und der morgige Zuneigungs-Umsatz in den Blumengeschäften wird dem Heiligen grundsätzlich zusagen. Auch wenn Kunden und Floristen, Blumen und Empfänger kaum Ahnung haben von ihm. Mit einer rühmlichen Ausnahme unter den Floristen, die mich via Fleurop-Zeitschrift von 1986 informierte, wie der Markt den heiligen Valentin sieht: dieser Bischof traute vor rund 1700 Jahren gegen den Willen seines Kaisers Claudius II. Paare zu Ehepaaren. Als er mit diesem Liebesdienst für die Liebenden nicht aufhörte, wurde er am 14. Februar 269 n.Chr. enthauptet und dort ein Märtyrer - eben der Liebe. Lassen wir also Blumen sprechen morgen für alle, die wir mögen. Und auch an ihn denken, den Patron für die Liebenden und gegen Gicht und Fallsucht.
13. Februar 1990