Landhandel - Welthandel

„Landhandel" stand früher drüber. Über Schmieta's Verkaufsgelände in Holdenstedt. Und ich fühlte mich immer wie in aller Welt dort: Tulpenzwiebeln aus Holland, Sonnenschirme aus Taiwan (doch, in alten Zeiten soll es auch Sonne in unseren Breiten gegeben haben und nicht nur Solarien...). Dann gab es dort in noch älteren Zeiten Kohle zu kaufen aus dem fernen Rheinland, in neueren Zeiten Heizöl aus Rotterdam beziehungsweise dem fernen Nahen Osten, in ganz neuen Zeiten norddeutsche Barockputten aus Südspanien. Die Bezeichnung „Landhandel" zeugte eher von der Bescheidenheit der Holdenstedter Kaufleute als von heimischen Waren. „Länderhandel" wäre angemessener gewesen. Doch während ich mit „Landhandel" dank Schmieta'scher Weitläufigkeit beim Einkauf weltmännische Einblicke verband, ging die Entwicklung über meinen Kopf hinweg. Denn als ich jetzt mit Friederike im Flugzeug über die Köpfe anderer hinwegflog, bot sie mir kurz vor der ersten Landung in Adelaide/Australien einen wunderschönen Apfel an, den Christine ihr noch als Proviant-Vorrat aus der Heide zugesteckt hatte. Dies Angebot des Apfels ließ mich zweierlei erkennen: Die eine Erkenntnis ist der Wechsel von Landhandel zu Welthandel. Denn der Apfel aus der Heide trug ein Etikett aus Neuseeland. Gleich neben Australien, wohin ich zum Kongress musste. Welthandel eben. Wir transportierten jenen Apfel, den Christine in Uelzen gekauft hatte, zurück um die halbe Erde. Man bedenke: Die Transportkosten bei solchem Apfel! Welthandel eben. Auf dem Rückflug dann jener Bleistift in Hongkong. Ich hatte auf dem Kongress das Buch eines Autors geschenkt bekommen (auch nur, damit ich es rezensiere, Autoren wollen eben immer nur das eine...) und wollte nicht mit Kuli darin schreiben. Ich fand, nach längerem Suchen, unter Millionen von chinesischen Kugelschreibern (made in Japan übrigens, gleich nebenan von Hongkong) einen echten Bleistift. „Faber- Castell" las ich gerührt darauf. Er kam von zuhause, mein Bleistift. Und der war um die halbe Erde geirrt. Wie ich. Welthandel eben. Zuhause dann die Erholung an der Ostsee in Neustadt. Mit Fischbrötchen von Mutter Martin. Und einem Trumm von Riesenfisch in der Eis-Vitrine. In welcher Ecke unserer Ostsee der gefangen sei? Eine provinzielle Frage: Mutter Martins Prachtstück kam aus Afrika. Fisch aus Afrika im Hafen von Neustadt nicht aus Plastik und als Reklame, sondern zum Essen. Welthandel eben. Nun zum Apfel, den Friederike mir anbot und die zweite Erkenntnis (wie sie sich ja öfter mit Äpfeln verbindet): Den Apfel hatte sie, auch ein Weib, mir angeboten, weil in Australien kein einziges Gramm fremder Lebensmittel eingeführt werden darf. Ja, über den Köpfen aller einreisender Fremder versprühen die Stewardessen vor der Landung ihre Schutzsprays, als wenn wir alle Bazillen dieser Welt trügen…Das Apfelangebot war also nicht nur Liebe, sondern der Versuch, die Verantwortung für etwas Überflüssiges an den Mann, in diesem Fall den Vater, abzugeben. War es im Paradies vielleicht auch so: Gar kein eigener Genussbedarf oder gar moralische Auflehnung gegen Gott waren der Grund für den Wechsel des berühmtesten Apfels der Erde vom einen zum Nächsten, sondern Evas Blick nach vorn: Erst paradiesischer Handel (schließlich bekam Eva Adams lebenslange Schuldgefühle ihr und gleich Gott mit gegenüber für den Apfel), dann Landhandel. Und heute Welthandel. Allerdings wird die Mobilität, die damit verbunden wird, auch als Zeitkrankheit Nr. 1 gesehen. Insofern hat der arme Apfel im Paradies seine unangenehme Eigenschaft an den armen Apfel von heute vererbt, Geißeln der Menschheit auszulösen.

11. August 1998