ZEN am Telefon
Mitbringsel für die Lieben zuhause auf fernen Reisen auszuspähen, zu kaufen, zu sammeln - das ist eine Tätigkeit, mit der der Mensch die geographische Entfernung zu eben den fernen Lieben durch innere Nähe zu ihnen überbrückt. Psychologisch heißt dieser Zustand so hässlich „kompensatorische Psychodynamik". Mich erleichtert diese Tätigkeit ungemein. Zum einen wird durch Mitbringselshopping mein Heimweh erleichtert, zum anderen mein Reisegeld. Und wegen dessen natürlicher Begrenzung rückt das Wiedersehen mit den Lieben nochmal in nähere Nähe. Zu den Mitbringseln, die ich gefunden habe, gehört ein Telefon-ZEN. ZEN, jawohl, ZEN, diese japanische Eigenart des Buddhismus, ragt inzwischen in unsere Neu-Zeit auch während des Telefonierens. Während Europa sich mit solch traurigen Tätigkeiten wie Telefon-Sex abquält (übrigens auch eine kompensatorische Tätigkeit, Telefon-Sex), hat eine Firma hier in Japan eine der schönsten, klarsten Erkenntniswege zu sich selbst, eben ZEN auch für das Telefon entwickelt. ZEN am Telefon sieht so aus: Ein 15 x 40 cm schlichter Holzrahmen ist gefüllt mit jenem lichten, leichten Sand, wie er auch in den großen ZEN-Gärten und Tempelanlagen zu finden ist. In der Telefon-ZEN-Garten-Packung liegt zudem eine kleine Harke (sandfarbenes Naturholz). Alles zusammen soll am besten im Büro neben dem Telefon so aufgestellt werden, daß man während des Telefonierens harken kann. Dem gebildeten und selbstwahrnehmenden westlichen Telefonierer ist die Parallele natürlich gleich klar zu den westlichen Männchen und Türmchen, Mädchen und Kreisen, die der (normale) telefonierende Mensch während des Telefonierens mehr oder weniger unbewusst auf seinen Notizzettel malt. Wenn er nicht am Telefonkabel knabbert. (Was auch kompensatorisch ist.) Mein Freund Georg zum Beispiel (er ist Beamter und sitzt und telefoniert viel vom Amt aus) - der muss alle paar Wochen seine große Löschpapierfläche austauschen, die seine Schreibunterlage bedeckt. Soviel Unbewusstes zeichnet sich aus Georg darauf ab. Während jedoch bei uns im Westen solche Tätigkeiten wie die von Georg gleich im Papierkorb meist achtlos verschwinden, will das kleine Telefon-ZEN-Gärtchen genau das Gegenteil: Man soll sich nach dem Telefonieren erst einmal in jener inneren Ruhe den neuen Formen widmen, die die Harke - vom Unbewussten geleitet während des Telefonierens in den feinen Sand gezeichnet hatte. - Und tatsächlich - es ist was dran! Ich habe zwar nicht viel von Tokio aus nachhause telefoniert. (fernöstlicher Minutentakt), aber nach dem Telefonieren mit Christine (Heimwehthema) waren in meinem kleinen ZEN-Sandkasten 4 Kurven, 2 zart-schwungvolle Linien und eine sanfte Hügelebene im Sand zu sehen. Beim Telefon-Interview mit dem Redakteur eines sensationshungrigen Wissenschaftsjournals (mit noch dazu niedrigstem Honorar) zeigten sich erhebliche Sandberge, von der Harke aufgeschoben, so daß auf einer Seite geradezu Abgründe entstanden. Und schnelle, unruhige Zick- Zack-Bewegungen. Beim Anhören der Töchter (große Begeisterung beim Hören meiner Stimme, ebenso große Nüchternheit bei meinen Rückfragen nach Schule und Leistungen) ergaben sich im Sand verschiedene kleine und große Häufchen, dazwischen Zick-Zack-Linien, gemischt mit sanfter werdenden Hügeln. (Ich harke immer von einer Breitseite die Länge runter und kann daher nach dem Telefonieren den zeitlichen Ablauf mit den Themen erinnern). Diesen ZEN-Telefoniergarten bringe also (auch) ich mit. Gleich mehrere. Und die Lieferadresse habe ich auch (deutsche Filiale existent).
11. Februar 1997